Balkan

Giro d’Albania

In Albanien treffen wir wieder öfter auf velofahrende Einheimische als in den Ländern zuvor. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Strassen für diese Art der Fortbewegung besonders geeignet wären. Da sich der lokale Fahrradfahrer nur lokal bewegt, fällt dies nicht besonders ins Gewicht. Uns hingegen sticht der Unterschied zu den vorangehenden Ländern sehr ins Auge bzw. schlägt uns in die Felgen. Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Erstens die Schnellstrasse, auf der – wie der Name sagt – schnell gefahren wird. Hier ist des Velofahrers Leben kein Spass, vor allem bei fehlendem Seitenstreifen. Alle anderen Strassen (oder besser: Fahrwege) sind in einem bedauernswerten Zustand. Sie wurden mutmasslich im dritten Jahrhundert v. Chr. angelegt und damals erst- und letztmals am Stück asphaltiert. Seither wurden sie bestenfalls da und dort behelfsmässig ausgebessert, aber einzelne Abschnitte gingen bei der zuständigen Behörde ganz in Vergessenheit, womit wir dann über eine marokkanisch anmutende unplanierte Piste holpern. Das Gute dabei: Die stetige Suche nach der am wenigsten holprigen und kräftesparendsten Spur fördert sowohl Konzentration, Gleichgewichtssinn und Reaktionsvermögen.

DSC01197

Acht von zehn Autos auf Albaniens Strassen sind Mercedes. Gefragt nach dem Warum, sagt uns ein Albaner mit seligem Lächeln: „It’s the king of the road!“ Wir vermuten, dass jeder Mercedes früher oder später hier landet, sofern er nicht bereits zu einem Taxi in Nordafrika umfunktioniert wurde. An der Mercedes-Rundschau lässt sich auch sehr schön das Wohlstandsgefälle im Land dokumentieren. Man sieht die allerneusten 100‘000-Euro-Schlitten bis hin zu den alten, mehrfach wiederbelebten Karossen mit dem Stern drauf. Die restlichen 20 Prozent der Verkehrsteilnehmer sind mit BMW, Eselskarren und ganz wenige mit anderen Automarken unterwegs – das sind dann Touristen in einem Mietwagen.

DSC01230

Damit sind wir auch bereits beim albanischen Hobby angelangt. Es ist – wenig überraschend – der Mercedes. An zweiter Stelle folgt das Waschen des Mercedes, auf dass er makellos glänze. Pro Kilometer Strasse gibt es ungefähr sechs Anbieter für Autowäsche (das ist für einmal keine Übertreibung). Unser meistgelesenes albanisches Wort ist daher „Lavazh“, gefolgt von „Shitet“, was so viel wie „Zu verkaufen“ heisst. Weiter gibt es fast ebenso viele Tankstellen, gefolgt von kompakten Fleischhauereien, wo ein dösender Albaner seine drei bis vier nicht ganz handlichen Fleischstücke am Haken feilbietet und die meiste Zeit auf Kundschaft wartet. Eier gibts ebenfalls frisch ab Huhn in Naturaplan-Bioqualität. Das Federvieh pickt am Strassenrand im Feld rum, unter wohlwollender Beobachtung des diensthabenden Gockels, der seine Wächterrolle gerne mit einem lauten Krähen kundtut.

Mancher Albaner hat auch ein kleinmotorisiertes Moped, vorzugsweise ohne schalldämpfenden Auspuff. Damit kompensiert er die fehlende laute Hupe, mit der wir beim Vorbeifahren des Mercedes oft frenetisch begrüsst werden. Hinten auf dem Moped sitzt seine Frau mit wehendem Haar. Eine schöne Begebenheit ergibt sich auf einer bergigen Strecke zwischen Berat und Vlorë. Wir keuchen die Strasse mit einer nennenswerten Steigung von 6 bis 9 Prozent hoch und hören ein Moped hinter uns daherknattern. Kurz drauf überholt das eben beschriebene Albanerpaar, sehr interessiert die zwei komischen Ausserirdischen auf den Velos anstarrend. Wir keuchen weiter. Weiter oben mag das arme Moped auch nicht mehr und kapituliert vor der Macht des Berges. Was tut der Albaner? Er setzt seine Alte im Staub ab und fährt alleine weiter, die Frau hechelt in der Abgaswolke dem Manne hinterher. Gelebte Emanzipation, das!

Kommen wir zu weiteren Äusserlichkeiten des Albaners. Wir stellen zwei vorherrschende Kleidertypen fest. Die Mehrheit der Männer an der Strasse trägt in allen Lebenslagen Jackett, selbst der Bauer auf dem Traktor. Dann gibts die unvemeidliche Trainerhosenfraktion, die so schön zum Balkanfeeling beiträgt. Bei den Frauen könnte die Kluft nicht grösser sein: Im gleichen Bauerndorf treffen wir auf die urtümliche Trachtenfrau wie auch auf das städtische Tussi, das mit Highheels und Tigerhosen um die Pfützen stöckelt und in ihr Handy bellt.

Wenn der Albaner nicht gerade mit seinem Mercedes in der Gegend herumbraust, sitzt er gerne rum und frönt dem Nichtstun. Da sind wir komischen, unmotorisierten Fremden natürlich eine willkommene Abwechslung, denn das ständige Herumlungern hat ja recht wenige Überraschungsmomente. Da wird also um die Wette gestarrt, die Machos pfeifen und diejenigen mit ein paar Brocken Englischkenntnissen rufen uns ein, zwei Sätze nach. Derweil die Frau von Hand den Hühnermist auf dem Feld ausbringt, irgendjemand muss ja auch etwas Nützliches tun.

Stadt und Land, ein weiteres Thema. Die albanischen Städte sind oft von einnehmender Hässlichkeit. Es gibt für uns selten einen Grund, in irgendeiner Stadt auf unserer Route länger als nötig Halt zu machen. Draussen auf dem Lande ist es wenig spektakulär, landwirtschaftlich geprägt, mit vielen Bauruinen und unfertigen Häusern und leider an den Strassen oft mit Müll zugepflastert – letzteres ein kleiner Vorgeschmack auf die Länder, die nun folgen werden. Die Tourismusfachleute Albaniens haben also in den nächsten Jahren allerhand zu tun!

Nachdem wir nun alle Klischees über Land und Leute abgehakt haben, wollen wir natürlich auch über die vielen wunderbaren Begegnungen berichten, die wir erleben dürfen. Wir werden so gut wie überall sehr freundlich empfangen. Studieren wir am Wegrand die Karte, kriegen wir regelmässig wertvolle Tipps, wo es denn am besten durchgeht. Albanien hält immer eine Überraschung bereit – ein Land voller Gegensätze. Da fährt man ewig über die schlimmste Drittweltpiste und plötzlich steht da im Nichts die so gut wie unbefahrene, brandneue Autobahn, auf der wir nur so dahinfliegen. Da denkt man, es gebe wirklich nichts Sehenswertes und steht plötzlich vor der Altstadt von Berat, die mit ihren weissen Terrassenhäusern fast ein wenig an Tibet erinnert. Da eröffnet einem der Gastgeber, dass er in seiner Freizeit singt – und bringt uns bei einem Glas selbstgekelterten Wein ein opernreifes Ständchen. Mirë se vini, willkommen in Albanien!

4 Kommentare

  • Emma

    Ich hoffe doch, Ihr habt ein Bild vom Ortsschild vom lieblichen Oertchen Shitet gemacht… mit Zahnpastatube :-).

    Die Strassen heimeln mich übrigens unheimlich an…

  • Daniel Wulle

    Diese Strassen- und Mercedes-Stern, Land- und Leute-Geschichten, Kultur pur, oftmals unglaublich zu hören doch Realität – ihr erlebt es… Wie ihr das so „locker vom Hocker“ managet… Bewunderung. Pragmatisch weiterradeln, der Humor ist in euren Zeilen zu lesen, das ist gut so. Langeweile kennt ihr im Gegensatz zu den Einheimischen Albanern nun wirklich nicht…😜

  • Philippe Erath

    Lässt euch doch von einem getunten Mercedes ziehen!
    klingt sehr spannend – und wow, schon in Albanien. ich hätte schon längst schlappgemacht.
    weiterhin viel spass und toitoitoi

  • Daniel Wulle

    Toll, dass wir skypen konnten – gestern, vor 1 Stunde… nun Tschüss Albanien, äh Mercedes-Land, dem Land der Gegensätze. Morgen Fähre nach Korfu von Sarande aus… Willkommen in Griechenland auf der wunderschönen ionischen Insel… Schönen Sonntag, gute Regeneration auf Korfu, nicht zu streng, geniesst die Landschaft (das Mittelmeer…)

Schreibe einen Kommentar zu Philippe Erath Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert