Balkan

Ims Balkan

Normalerweise bestimmen wir ja gerne selber, wo und bei wem wir unser Nachtlager aufschlagen. Aber als wir am Abend müde und hungrig in Makarska eintreffen, schnappt uns ein geschäftstüchtiger Kroate von der Strasse. Er habe da ein Zimmer, gut und günstig, nur drei Minuten weg. Man kennt das: Es sind 15 Minuten und zwar steil den Berg hinauf. Was solls, er hat ja einen Töff… und wir schwitzen gerne hinterher. Wir landen in einem authentischen Kroatenquartier und geniessen für schlappe 10 Euro pro Person den wertvollen kulturellen Austausch. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass kroatische Schulkinder gerne mit Schwertern und lautem Gebrüll Star Wars nachspielen. Und sie wiederum haben gelernt, dass Schweizer ihre Räder auf dem Balkon parkieren. So weit ist unsere Paranoia schon!

Am nächsten Tag fahren wir früh los, denn wir wollen den herrlichen Rückenwind nutzen, um möglichst weit Richtung Dubrovnik zu kommen. Dazwischen liegt ein 10 Kilometer breiter Streifen Bosnien-Herzegowina. Die Gegend wird einsamer und irgendwie beschleicht mich das irrationale Gefühl, dass ab jetzt nur noch Pampa kommt. Wir passieren die Grenze, aber niemanden kümmerts, denn man ist gerade anderweitig beschäftigt: Ab Juli 2013 gehört Kroatien zur EU und offensichtlich sind die Kroaten fieberhaft daran, die neue Schengen-Aussengrenze aufzurüsten. Von Bosnien-Herzegowina haben wir nur den hässlich zubetonierten Küstenstreifen gesehen, der dank Rückenwind nur so an uns vorbeigeflogen ist. Hier sitzt im Sommer ganz Bosnien und holt sich den Hautkrebs. 🙂

Wir zelten wild an einer idyllischen Meeresbucht und weil Dubrovnik schon so nahe ist, gönnen wir uns am nächsten Morgen einen kleinen Umweg nach Ston – hier steht gemäss Eigenwerbung die zweitlängste Mauer der Welt. Wir sind mässig beeindruckt und löffeln lieber gemütlich einen Cappuccino mit den Einheimischen. Irgendwie hat hier jeder immer Zeit! In Dubrovnik wartet mitten in der Altstadt ein hübsches kleines Studio im Dach eines privaten Hauses auf uns. Hier lagern wir die nächsten zwei Tage die schmerzenden Oberschenkel hoch und decken nach Herzenslust unseren grossen Gluscht nach Grünzeug und Gemüse.

Als wir nach unserer kleinen Ruhepause bei schweisstreibenden Temperaturen die enge, steile Ausfallstrasse hinaufächzen, werden wir von Thorsten überholt: Bereits unser dritter Fern-Tourenradler! Er ist aus Frankfurt und will ebenfalls in Richtung China. Wir tauschen E-Mail-Adressen und sind sicher: Man sieht sich, die Welt ist klein!

Nach wenigen Kilometern ist für uns Kroatien Geschichte. Nach der Grenze verpassen wir vor lauter montenegrischer Willkommensschilder, dass wir eigentlich erst ausgereist sind. Wir sind darum recht erstaunt, als nach zwei Kilometern nochmals ein Mann einen Stempel in unseren Pass drücken will. Hö? Wenig später biegen wir ein in die Bucht von Kotor, die uns mit ihrem wilden und wuchtigen Panorama fast umhaut. Wunderbar! Beschwingt kurven wir um die unzähligen Buchten und landen schlussendlich in einem privaten Zimmer mitten in der verwinkelten Altstadt von Kotor. Spätenstens hier wird uns klar: Dubrovnik ist überbewertet!

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Nach Kotor geht es erst einmal steil den Pass hinauf. Während die Autos tief unten im Tunnel durchrasen, schrauben wir uns Kehre um Kehre in die Höhe und werden dafür mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Das Land macht seinem Namen alle Ehre: Es gibt definitiv viele Montes. Am Schluss stehen 1000 Höhenmeter auf dem Zeiger und wir wären in bester Laune, um zu zelten. Da es keine Campings gibt und in jeder lauschigen Bucht bereits ein Montenegrer den Sonnenuntergang geniesst, geben wir auf. In einem Café buchen wir per Internet ein privates Zimmer. Dank GPS finden wir es, doch Fehlanzeige. Kein Mensch da. Unter der angegebenen Nummer nimmt eine Frau ab, die mit den international doch recht verständlichen Begriffen wie „Reservation“ und „Apartment“ nichts anfangen kann und einfach aufhängt. Es wird langsam kalt und die Lust, weiterzusuchen, hält sich in Grenzen. Die Haustür steht offen und in einem der Appartements steckt sogar ein Schlüssel. Sollen wir? Trotz einem leicht mulmigen Gefühl sind wir so frei richten uns häuslich ein. Ich stehe gerade unter der Dusche, als unten das Gebrüll losgeht. Wenige Sekunden später poltern mindestens fünf Leute in unser Appartment: Es klingt, wie wenn das KGB und das FBI gemeinsam die Räuberhöhle stürmen würden. Und ich stehe splitternackt da und bibbere!

Das Drama löst sich in Minne auf: Die Besitzer freuen sich über die zusätzlichen Euros in der Kasse und versuchen gar mit grossem Elan, ihr särbelndes Internet zum Laufen zu bringen. Uns scheint fast, als wäre das nur ein Vorwand, um unsere Velos zu bestaunen und ein wenig zu plaudern. Da das Englisch hier schon recht begrenzt ist, entfaltet sich ein lustiger Dialog in Berndeutsch-Montenegrinisch über die möglichen Gründe des nicht funktionierenden Internets. (Er: Sputnikski schlafski! Ich: Sputnikski Satellitski kreiski um Erdski, nix schlafski!). Montenegro kriegt von uns die volle Punktzahl: Humorvolle, zurückhaltende Menschen, tolle Natur und ganz viel Charme.

Am Tag darauf folgt unser viertes Balkanland in sieben Tagen: Albanien. Diesmal, hähä, fallen wir am Zoll nicht rein. Wir haben gelernt: Erst ausreisen, dann einreisen. Wir sind zwar schon etwas erstaunt, als das mit der montenegrinischen Ausreise so lange dauert, aber denken uns nichts dabei. Mit einem freundlichen Lächeln gibts die Pässe zurück und wir pedalen los, Richtung albanischem Zoll. Denken wir. Nach 5 Kilometern werden wir stutzig: Müsste dann schon irgendwann mal kommen… Bis wir merken: Wir sind schon längst da. Nach der Grenze treffen wir auf Eselskarren, einsame Hirten, idyllische Ebenen, friedlich grasende Pferde, Schafe und Schweine, bekopftuchte Frauen, Minarette, Machogepfeife, halsbrecherisch überholende Lastwagenfahrer und die ersten aufdringlichen Romakinder. Willkommen ims Balkan! 🙂

2 Kommentare

  • Daniel Wulle

    Genial dieser interessante Abriss eures Erlebten! Sooo spannend. Und diese schönen Landschaften, die eindrücklichen Begegnungen mit den Einheimischen, die Kulturen… Ernesto hätte da seine Freude an den letzten berichteten Zeilen (Hirten, Schafe, Pferde, Schweine…). Genießt es, trotz den Anstrengungen und Blessuren… Ihr belohnt euch immer wieder selber…

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