Griechenland

Begegnungen mit Menschen

Vielleicht habt ihr euch auch schon gefragt, wie die Leute eigentlich reagieren, wenn plötzlich zwei schwer bepackte Velos mit zwei Schweizern darauf an ihnen vorbeipedalen? Jedes Mal, wenn wir eine neue Landesgrenze überschreiten, sind wir selber sehr gespannt, wie man uns drüben wohl begegnet. Uns erstaunt immer wieder, wie gross die Unterschiede sind – obwohl doch Landesgrenzen nicht unbedingt Kulturen teilen. Oder doch?

In der Schweiz beispielsweise gehört man als Velofahrer fest zum Strassenbild: Auch schwer bepackt wird man als Weltradler kaum beachtet. Ausser man parkt sein Gefährt vor einem Einkaufszentrum! Hier versammeln sich dann gerne die Velokenner und beäugen anerkennend, aber schweigend den fahrbaren Untersatz. Und zwar so lange, bis wir sie von uns aus ansprechen.

Ganz anders der Italiener. Quasi ab der Grenze wird gehupt, freudig gewinkt und laut brüllend die Daumen hochgehalten. Jeder vorbeifahrende Velofahrer, der sich einigermassen als Sportler sieht, hebt die Hand zum Gruss oder zumindest den kleinen Finger (ja, der italienische Rennvelofahrer nimmts ernst). Sobald wir irgendwo halten, werden wir gefragt, woher wir kommen. Meist reicht „Svizzera“ für ein total beeindrucktes Gesicht. Wenn wir dann weitergehen – das tun wir manchmal zum Spass – und auch noch die Destination nennen, sind die Italier nicht zu halten. „BRAVI, BRAVI, BRAVI!“ brüllen sie begeistert und können es kaum fassen. So zum Beispiel die Kassiererin im Lebensmittelladen, die buchstäblich fast von ihrem Kassenstuhl kippt, ein smarter italienischer Geschäftsmann in Triest, der uns rät, in Italien zu bleiben und trotzdem aus China eine Ansichtskarte möchte, oder ein piemontesisches Touristenpaar, das uns in einer wohlverdienten Pause anspricht und jedes Detail unserer Velos und Reise wissen möchte (selbstverständlich auf Italienisch). Am meisten freuten uns aber die „drive-by“-Italiener. Jene, die uns auf dem Rennvelo überholen, eine Weile neben uns herfahren und aus ihrem Leben erzählen. Oder jener Vespafahrer, der uns entgegenkommt, extra umdreht und ein Stück mit uns mitfährt, nur um erfahren, wo wir herkommen. So etwas würde einem Zuhause nie passieren. Italy: We love you!

Der Kroate ist da zurückhaltender. Obwohl er im Vergleich zum Italiener massiv mehr Fremdsprachen kann (nicht sehr schwierig), getraut er sich nicht, uns einfach so anzusprechen. Es gibt allerdings Ausnahmen. Zum Beispiel an einem Rotlicht auf einer zweispurigen Ausfallstrasse. Der Autofahrer neben uns kurbelt die Scheibe runter und fragt: „Doitsch?“. „Nein, Schweiz!“ Da strahlt er übers ganze Gesicht und sagt: „Grüezi!“ Und erzählt, er sei auch Velofahrer und fahre jeden Tag 100 Kilometer. Da wir ihn leicht irritiert anschauen (er sitzt im Auto, wie will er da seine täglichen 100 Velokilometer noch schaffen?), erläutert er, er komme jetzt gerade vom Sardinenfischen und habe leider nichts gefangen… Bevor wir ihn fragen können, woher er denn „Grüezi“ kann, wird es schon grün, und wir können nur noch hinterherwinken.

Eine andere Eigenart des Kroaten im Umgang mit uns ist es, dass er generell davon ausgeht, dass das Gegenüber Kroatisch spricht (logisch!). Wie zum Beispiel ein Zimmermädchen, das ohne Vorwarnung in unser Zimmer stürzt und dazu eine lange, erklärende Kroatischsalve ablässt. Äh? (Gerade in Hotels ist die Chance ja besonders gross, dass Gäste der lokalen Sprache mächtig sind…) Oder die alte Dame, die mich mit vielen verzweifelten kroatischen Sätzli eindeckt, während ich vor dem Einkaufszentrum auf Christian warte. Hö? Will sie, dass ich ihr die Einkäufe trage? Oder will sie, dass ich verschwinde (Velogesindel)? Nein! Wie wild deutet sie auf ein kleines, harmloses Hündchen, das wie ich draussen vor der Tür auf sein Herrchen wartet. Nachdem ich sie die paar Schritte am Hündchen vorbeibegleitet habe, ist sie sichtlich erleichtert und verschwindet mit ihren Einkäufen im weitläufigen Kroatien.

Der Albaner – das war nun leicht zu erraten – kommuniziert mit uns primär mit der Mercedes-Hupe. Ob er überholen, uns anspornen oder uns einen wertvollen lokalen Tipp geben will: Er hupt. Ansonsten ist er eigentlich mehr an seinem eigenen Land interessiert. „We Albanians need to be more proud!“, sagte uns einer. Auf was, hat uns allerdings niemand genauer erläutern können. In einer Sache sind sich Kroaten, Montenegriner und Albaner ziemlich einig. Wenn ihnen zwei Velotouristen erzählen, dass sie mit diesem Alugestell bis nach China wollen, sind sie weder positiv überrascht noch sonderlich beeindruckt. Sie finden das einfach nur völlig unverständlich. Einer fragte uns, wieso wir nicht wenigstens mit dem Töff nach China fahren. Ja, was sagt man da??

Beim Griechen hingegen fällt man als Velotourist in die Kategorie „komplett unbeachtet“. Vermutlich nimmt uns der Grieche deshalb nicht wahr, weil auf seinen Strassen, Meeren und in seinen adretten griechischen Dörfern tagtäglich so viele Touristen herumstochern, dass ihn nichts mehr überrascht. Nur in Bergdörfern oder sonstigen Ausnahmesituationen werden wir wie Ausserirdische angestarrt. Seit wir allerdings den grossen Schweiz-Kleber montiert haben, passiert es öfters, dass wir mit ungläubigem Staunen gefragt werden, ob wir tatsächlich von „Elvetía“ aus mit dem Velo hierhergekommen sind…

Auch die Begegnungen auf der Strasse unterscheiden sich von Land zu Land massiv. Im Vergleich zum Albaner, auf dessen Strassen mafiöse Zustände herrschen (sogar auf der Autobahn müssen wir auf unserer Spur entgegenkommenden Velos, Eselskarren und Autos (!) ausweichen), ist der Grieche im Auto höchstens kleinkriminell. Die entgegenkommenden Fahrzeuge warten mit Überholen, wenn sie uns sehen, und in Kurven wird respektvoll hinter uns hergefahren, bis die Sicht wieder frei ist. Bietet sich dem Griechen aber eine Gelegenheit für ein kleineres Verkehrsdelikt, dann sind auch hier Polizei und Regeln schnell vergessen. Vermutlich schon gar nicht als Delikt zählt in Griechenland, mitten auf der vielbefahrenen Strasse die Handbremse zu ziehen, um schnell beim Bäcker oder beim Gartencenter vorbeizuschauen. Und wenn gerade keiner hinschaut, fährt man auch mal den verkehrten Weg um einen Kreisel. He ja, wieso Zeit und Sprit vergeuden…?

greekway

Der Grieche kann aber auch ziemlich fordernd sein (zeigt sich nicht zuletzt ja auch auf internationaler Bühne). In Thessaloniki werden wir von zwei männlichen griechischen Touristen in zackigem Ton angewiesen, man solle ein Foto von ihnen schiessen. Und zwar mit genau diesem Hintergrund und in exakt jenem Winkel. Oder als wir auf der Athos-Halbinsel vor dem Frühstück harmlos unsere E-Mails checken, sind wir plötzlich von Griechen umzingelt, die ziemlich schamfrei in unseren Bildschirm starren und uns mitteilen, sie müssten jetzt sofort die Wetterprognosen wissen. Oder vor einer wunderbaren alten griechischen Skulptur mutieren wir für zwei ältere Herren kurzum zum Fotostudio, und müssen die beiden zu zweit, einzeln, von vorn, von hinten, von oben und von unten fotografieren. Machen wir ja gerne! Dafür freut es uns dann um so mehr, wenn mitten im Bergdorf ein Velobegeisterter die Landkarte zückt und mit uns über die Route diskutiert, oder uns – wie Jiannis in Trikala – mit seinen kargen, selbstbeigebrachten Englischkenntnissen zu Kaffee, Kuchen und Wein einlädt. So herzlich und spontan, das werden wir nie vergessen!

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Belgische Campertouristen: Spontan werden wir mit Eiscrème verwöhnt!

Am meisten Reaktionen auf unser schwerbepacktes Vorbeipedalen gibt es allerdings häufig von Mittouristen. Während wir beispielsweise in einem engen Gässlein von Sibenik unseren ersten Platten reparieren, zwängt sich eine ganze Horde von Holländern an uns vorbei. Der Reiseleiter hat keine Chance: Nicht die alten kroatischen Häuser, sondern wir werden vorübergehend zur Attraktion. „Wie lange braucht ihr für die Reise?“, „Wow, soo viele Berge bis China!“ und „Kann ich mitkommen?!??“ – so die Reaktionen. Ebenfalls unvergessen das nette belgische Paar, das uns im griechischen Hinterland ein Eis und ein Glas Wasser spendiert. Wir werden (sogar aus fahrenden Autos) gefilmt, fotografiert, beklatscht, und eine Amerikanerin will uns trotz fehlender Deutschkenntnisse gar auf dem Blog verfolgen. Auch Schweizer treffen wir immer mal wieder – sie schauen mit Kennerblick auf unsere Ortliebtaschen oder sprechen uns mit einem breiten Grinsen auf Schweizerdeutsch an. Egal ob Touristen oder Einheimische: Wir freuen uns immer auf ein Schwätzchen. Denn Begegnungen mit Menschen sind wohl das unplanbarste und bereichernste Element der ganzen Reise. Und: Wir haben ja viel, viel Zeit!

5 Kommentare

  • Nik & Lena

    Toll, mitzureisen!! Wir verpassen keine Etappe 😉
    Wann seid Ihr fleissigen Strampler denn in Konstantinopel???
    „Nur so“ ;-))

    Nik&Lena

    • Yvonne

      Hey, virtuell mitzureisen ist Silber, real irgendwo dazuzustossen ist Gold! 😉 Nach ausgiebigem Ausspannen auf Thassos (wunderbare Insel!) nehmen wir morgen die Weiterfahrt in die Türkei unter die Räder. In Konstantinopel sollten wir nach einem Abstecher nach Edirne in acht Tagen sein. See you there?!

  • Daniel Wulle

    Yvonne kann es nicht lassen, Reporterin mit Leib und Seele auch nach 3000 Kilometer Velofahrt in Istanbul. Einfach cool, Spitze! Immer am richtigen Ort und zur Stelle! Sonnige ferne Grüsse!

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