Türkei

Am Ende der Welt – ein bisschen Leiden in Kurdistan

Der östlichste Zipfel der Türkei, da wo die Kurden wohnen, ist anders. Der Wechsel in eine konservativere und ärmere Gegend ist ab Erzurum nicht zu übersehen. Bei der Stadteinfahrt fallen uns die vielen komplett schwarz gekleideten, ganzkörperverschleierten Frauen auf. Zur Begrüssung gibts hier kein nettes „Hoşgeldiniz – Willkommen“, sondern „Helloo, Helllooooo!“. In den Strassencafés sitzen ausschliesslich Männer, von denen ich angestarrt werde, als hätte Gott höchspersönlich mich als erste Frau in diese Gegend geschickt.

Der Wechsel kam ziemlich abrupt. Noch eine halbe Stunde zuvor, bereits 100 Kilometer in den Beinen, sitzen wir gemütlich auf den obligaten Plastikstühlen einer Shell-Tankstelle und kühlen unsere Kerntemperatur mit einem Glacé. Die beiden jungen Tankstellen-Angestellten finden uns so lustig, dass sie eine ganze Glacé-Länge vor uns stehen und Fragen stellen. Als uns unser Türkisch- und ihnen ihr Englisch-Vokabular langsam ausgeht und wir uns auf den Weg machen wollen, kommt – mit leuchtenden Augen – die Frage: çay? Ach, wieso eigentlich nicht! Sofort wird ruckzuck ein improvisiertes Tischlein herbeigeschafft, es folgen die bauchigen Teegläser samt dampfendem Inhalt. Wir bedanken uns artig und denken, dass unser Unterhaltungsfaktor nun langsam gegen Null tendiert, doch weit gefehlt. Die beiden verschwinden tuschelnd und kichernd, nur um sich kurz darauf an unseren Velos schaffen zu machen. Hä? Mit breitem Grinsen montieren sie einen Kleber mit der Aufschrift (frei übersetzt): „Bitte Sicherheitsgurten tragen!“. Jetzt grinsen definitiv auch wir!

Doppelter Service: Wir kriegen Tee und die Jungs montieren einen Kleber am Velo

Da uns nach den Killeretappen der letzten Tage die Sitzpartie höllisch brennt, nehmen wir uns zwei Tage frei und geniessen das Nichtstun. Der Blick auf die lokale Kleidermode lässt mich nichts Gutes ahnen. So einfach wie ich mir das vorgestellt hatte, würde es nicht werden, einen verhüllenden aber atmungsaktiven Lumpen für den Iran zu finden. Schwere, bis an den Boden reichende Wintermäntel in allen Farben und Formen sind en vogue – was ich mir bei 40 Grad im Schatten bei Allah nicht gerade vergnüglich vorstelle. Wir rücken deshalb aus zum Kleidershopping. Es kommt nicht überraschend: Wir werden angestarrt wie zwei Ausserirdische und das Ganze wird dann auch zur Begegnung der dritten Art. Mangels Englischkenntissen watscheln uns jeweils mindestens drei Verkäuferinnen (verhüllt, natürlich) stumm durch die Gestelle nach, doch ausser Starren ist leider keine Serviceleistung inklusive.

Unser erster richtiger Halt seit Kappadokien gibt uns endlich einmal Gelegenheit, den türkischen (Kleinstadt)-Alltag an uns vorbeiziehen zu lassen. Sofort fällt uns auf: So wie der Kroate sein privates Gartenfeuerchen liebt, wird in der Türkei immer und überall saubergemacht. Jeder Haus-, Laden-, Restaurant- und Hotelbesitzer ist konstant damit beschäftigt, mit einem Besen seinen (aber nur seinen!) Vorplatz zu wischen. Auch wenn Minuten später der 40-Tönner vorbeidonnert und sämtlichen Staub wieder an die Original-Koordinaten zurückbefördert. Die zweitliebste Beschäftigung des Türken ist es, nach dem Wischen (so nehmen wir jedenfalls an) mit einem Gartenschlauch, einer Spritzkanne oder auch mal nur mit einer Pet-Flasche sein Stück Vorplatz zu bewässern. Ob das reinigende Wasser symbolische Wirkung entfaltet? Sauber machen die spärlich verstreuten Tropfen auf jeden Fall nicht. Und falls doch, sei auf den bald schon wieder vorbeidonnernden 40-Tönner verwiesen.

Als wir Erzurum in Richtung Osten verlassen, werden die Häuser zu armseligen Hütten. Uns fällt die massive Militärpräsenz mit riesigen, scharf bewachten Kasernen auf: Der immer noch schwelende Kurdenkonflikt lässt grüssen. Die Kinder schreien uns jetzt „Money, Money“ nach, und mich lässt das ungute Gefühl nicht los, dass man als Frau oftmals mit eher zweideutigen Blicken und Pfiffen eingedeckt wird.

Am Tag drei nach unserer Pause in Erzurum erreichen wir unseren bisher höchsten Pass: 2210 Meter über Meer, und mich deucht, das Hinaufgekrieche sei mir auch schon leichter gefallen. Umso erfreuter sind wir, als plötzlich ein iranischer Lastwagenfahrer neben uns stoppt und uns eine eiskalte Orange und zwei Nektarinen unter die Nase hält.

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Die letzten 40 Kilometer bis nach Ağrı, der nächstgrösseren Stadt, werden wir so schnell nicht vergessen. Diese Strecke ist (neben einigen üblen Abschnitten in Albanien) ein ganz heisser Kandidat für eine goldene Himbeere für die übelste Piste. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt bei 39 Grad und der Asphalt löst sich in eine schwarze, zähflüssige Masse auf. Die Autos haben offensichtlich weniger Probleme damit, doch an unserem Profil bleibt der ganze Krempel hängen und vermischt sich ach so schön mit Kieselsteinen und Dreck. Nach wenigen Kilometern ist unser Pneu von einer zentimeterdicken Schicht umhüllt, so dick, dass es massiv an den Schutzblechen kratzt. Es rattert und kracht beängstigend, und schlimmer – es bremst! Erschöpft, überhitzt und mit rumpelndem Magen schaffe ich es mit letzter Kraft in die Stadt, und wir landen in der billigsten Unterkunft unserer bisherigen Reise.

Mich hat es erwischt. Mit Übelkeit, Bauchkrämpfen und dem vollen Programm liege ich auf meiner Pritsche, von draussen zieht der Geruch nach verbranntem Hähnchen ins Zimmer, vom Gang her flötet der kloakige Duft des Gemeinschafts-Plumpsklos in die Nase. Ich sage nur: Proscht Nägeli!

Da es mir am nächsten Tag nicht wirklich besser geht, ziehen wir in ein besseres Hotel um und verlängern um eine Nacht (wir haben aus unserer Marokko-Testtour doch etwas gelernt :-)). Am Tag darauf bin ich soweit, dass ich wieder einigermassen gerade laufen kann und wir fahren früh los. Auf den ersten Metern schon fällt mir auf, dass sich Christians Tempo wie Tour-de-France-Niveau anfühlt. (Hat er gedopt?) Dazu bläst ein unglaublicher Gegenwind. Mit maximal 15 Stundenkilometern sind wir unterwegs, und in meinem Kopf beginnt es zu rechnen: 100km geteilt durch 15km/h… dazwischen ein Pass auf über 2000 Metern. In meinen Beinen ist gähnende Leere, und ich zähle verweifelt jeden Kilometer, den wir uns vorwärtskämpfen. Nach 30 Kilometern kommt ein Dorf. Getreu unserem Motto, in solchen Situationen vernünftig zu handeln, votiere ich für den Bus.

Eine geschlagene Stunde stehen wir am Strassenrand. Zwei türkische und zwei iranische Busse fahren unterdessen an uns vorbei und keiner reagiert auf unsere Handzeichen. Irgendwann kommt ein Türke und bedeutet uns, wir sollten weiterfahren, denn mit diesen Velos würde uns keiner mitnehmen. Wir können es zwar kaum glauben – doch was tun?

Wer wissen will, wie die nächsten 70 Kilometer landschaftlich ausgesehen haben, muss Christian fragen. Ich hänge mich an sein Hinterrad (fürs Vorfahren wird er Mitarbeiter des Monats!) und schaue nur noch auf seine rotierenden Speichen. Ja nicht nach vorne schauen! Gring ache u trampe…

An eine Szene aus dieser nimmerendenwollenden Reise allerdings erinnere ich mich noch glasklar, denn noch immer weiss ich nicht, ob ich lachen oder heulen soll. An einer schäbigen Mini-Tankstelle halten wir an, um uns (trotz Ramadan!) mit etwas Trinkbarem einzudecken. Unsere Auswahl: Orangensaft oder ein fermentierter Rüeblisaft mit Chiligeschmack. Die Entscheidung fällt für einmal innert Sekunden. Als ich den Orangensaft in meine Pet-Flasche umfülle und für die leere Packung nach einem Abfalleimer frage, schaut mich der Tankwart mit konsterniertem Blick an. Er nimmt mir das Brickpack aus der Hand und … schmeisst das Ding in hohem Bogen hinaus in die Natur. Problem gelöst!

Unsere Einfahrt in Doğubayazıt, der Grenzstadt 40 Kilometer vor der iranischen Grenze entfernt, fühlt sich an wie die Ankunft am Ende der Welt. Die Stadt ist eine einzige Baustelle, ungeteerte Strassen, Sand, die Kinder rufen uns „Turist“ und „Money“ nach und begrapschen unsere Taschen. So fühlt man sich doch gleich willkommen!

Für ein bisschen Heimatgefühl kaufen wir ein letztes Mal bei Migros ein. Wegen der uns vorauseilenden Reputation als exzellente Markenbotschafter 🙂 bittet uns das Management von Türk-Migros vor unserer Ausreise, für die Schweizer Kundinnen und Kunden noch einen kurzen Werbefilm zu drehen. Ach, für ein paar zusätzliche Tumulus-Punkte machen wir das doch gerne!

 

6 Kommentare

  • Emma

    Absolut genial! Hahahaha :-)))
    Die geborenen Markenbotschafter!
    Mindestens so beeindruckend der neue Ehering der Migros-Botschafterin (zwei für einen, erstanden mit der Tumulus-Karte?).
    Schön, Frau Furt nochmals ohne Burka zu sehen!
    Mich würde ja noch die Statistik zu den in der Türkei genossenen Tassen Tee interessieren? 367,5?

  • Daniel Wulle

    Bin froh, Yvonne wieder lachend zu sehen nach den Strapazen… Nun noch der Burka-Stress!?! Auf die Antwort von Emma’s Frage bezüglich Tee-Statistik bin ich auch gespannt…

  • Moni

    hi hi, welche ein Spass auf meinem Sofa die wunderbaren Abenteuer von furt.ch zu lesen. Jetzt vermisse ich langsam den türkischen Tee und bin erstaunt, welch lange Konversationen ihr mit den 100 essentiell türkischen Wörtern hinbringt! Schwer beeindruckt bin ich auch von euer Markenbotschaftertätigkeit für meinen Arbeitgeber…schön, dass die da die Tumulus Karte haben…könnt ihr nicht gleich fragen, ob sie nicht auch noch famtürkigros machen wollen?

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