Iran

Ramadan, Millionen und ein Kreuzverhör

Nachtzug nach Teheran. Die Eisenbahn rumpelt durch die Steppe, ab und zu blinkt in der Ferne das Licht einer kleinen Siedlung auf. Das monotone Ta-Tak, Ta-Tak des Wagens ist einschläfernd, im Viererwagen träumt schon alles. Seit sechs Tagen sind wir nun in Iran, uns kommt es aber vor, als wären wir schon seit einer halben Ewigkeit hier. Die Erlebnisse sind so zahlreich, dass wir es kaum schaffen, sie einzuordnen geschweige denn niederzuschreiben.

Doğubayazıt, die Grenzstadt in der Türkei, verlassen wir mit gemischten Gefühlen. Wie haben wir die Gastlichkeit der Türken in den letzten 43 Tagen schätzen gelernt! Gar weit weg erscheinen uns die ersten Tage im Westen des Landes, in denen wir uns an die neue Kultur gewöhnten. Istanbul und Tränengas, Hinterland und endlose Vorstädte der Metropolen, Höhlenfelsen und Weizenfelder – wir wurden reich beschenkt mit unglaublich vielen Eindrücken. Hitze, Steigungen, Tee und der Ruf der Muezzins waren einige der Konstanten unserer Durchreise. Und nun also wartet schon das nächste Abenteuer!

Beschwingt nehmen wir den letzten Abschnitt bis zur Grenze in Angriff. Diese kündigt sich schon viele Kilometer vorher an: Eine endlose Kolonne LKWs zeigt uns an, dass es nicht mehr weit sein kann. Gleich auf beiden Spuren stehen sie da, und es wird Tage dauern, bis sie die Grenze passieren können. Zum Glück dürfen wir auf der Gegenfahrbahn galant überholen.

DSC04159

Kurz vor der definitiven Ausreise heisst es, letzte Änderungen am Outfit vorzunehmen. Schon am Morgen haben wir uns in ungewohnte Kluft geworfen: Lange Hosen sind nun angesagt, für die Dame ausserdem den beliebten Tschador (auch liebevoll „Sack“ genannt). Zusätzlich kommt nun noch das Kopftuch dazu, dessen erstmalige Montage wir filmisch festhalten, sehr zum Vergnügen des gleich hinter uns wartenden Lastwagenchauffeurs. Nach etwas Machogehabe des diensthabenden türkischen Zöllners – er will für unsere Velos partout irgendwelche Papiere sehen – stehen wir kurz darauf vor den Toren der Islamischen Republik Iran.

Nach sorgfältiger Prüfung unserer Pässe durch einen Militärmann heisst es absteigen bitte, wir werden ins Gebäude der Zollabfertigung eskortiert. Dort werden wir von einer charmanten Dame im schwarzen Einteiler und drei belgischen Motorradfahrern erwartet. Wir dürfen gleich als Gruppe zur Begrüssungszeremonie (oder ist es eher ein kleiner Brainwash?). Nach der Aufnahme der Personalien beginnt die muntere Fragerunde: Wo wollen wir hinreisen? Was sind wir von Beruf? Wie heissen unsere Väter? Haben wir Freunde in Land? Was wissen wir über den Iran? Wie wurde in unseren Medien über die kürzlich stattgefundenen Wahlen berichtet? Wir erfahren dabei so allerhand über das offizielle Wording der Beziehungen Irans zu anderen Ländern („nein, mit den USA haben wir kein Problem“). Gekrönt wird das Gespräch mit der unvermeidlichsten aller Fragen: Warum soll Iran keine Kernkraftwerke bauen dürfen? Betretenes Schweigen. Ratlose Gesichter in der Runde. Ich werfe ein, seit den Ereignissen in Japan nach dem Tsunami sei diese Form von Energiegewinnung sowieso nicht mehr opportun und deshalb seien wir ganz allgemein dagegen. Und überhaupt, die Schweiz plane den kompletten Ausstieg. Damit haken wir dieses heikle Thema ab und werden in die Wartezone gewiesen. Probleme mit dem Internet verzögern die Prozedur noch ein wenig, so dass wir uns mit zwei zu Fuss reisenden Australiern austauschen können. Doch dann kommen unsere Pässe zurück und wir werden – nach kurzem Zögern – vom Mann bei der Alkoholkontrolle klaglos durchgewunken. Welcome to Iran!

P1040505

Mittlerweile ist es 13 Uhr und die Sonne brennt wie gewohnt mit voller Kraft auf uns herunter, neu ist allerdings der weibliche Teil unserer Reisegruppe dick eingepackt. Wir gehen es deshalb gemächlich an und fahren nur die wenigen Kilometer bis nach Maku, der ersten nennenswerten Stadt diesseits der Grenze. Sie ist in ein enges Tal zwischen mächtigen Felsen eingeklemmt. Ins Auge sticht uns als erstes die wesentlich andere Bauweise als in der Türkei: Hier werden die Häuser mit kleinen Ziegelsteinen gemauert, ohne Verputz und mit kunstvollen Erkern sieht dies ganz hübsch aus! An den wenigen Unterkunftsmöglichkeiten fahren wir erst mal vorbei, die Beschilderung muss man mit der Lupe suchen. Macht aber nichts, denn schon steht ein Iraner zur Stelle und gibt uns Tipps, wo wir die Nacht verbringen können. Wir lassen die Billigoption nach kurzer Besichtigung sein und quartieren uns im fancy Bizniz-Hotel ein – nur bitte nicht mit dem Fahrrad über den schönen Teppich fahren, gell! Im Zimmer sind alle Gegenstände mit arabischen Zahlen beklebt – ob diese Beträge zu berappen sind, wenn man das Mobiliar zertrümmert…?

Den um eineinhalb Stunden verkürzten Abend – die Zeitumstellung lässt grüssen – verbringen wir mit einem Spaziergang um die Stadt. Recht überraschend plärrt hier der Muezzin zur Gebetszeit nicht um die Wette. Die täglichen Einkäufe können nicht mehr bequem in einem Geschäft erledigt werden, für fast alles gibt es ein eigenes kleines Lädeli. Tschüss Dia, A-101, BIM, Migros und wie die türkischen Supermärkte alle hiessen! Beim (uhrzeitmässig späten) Sonnenuntergang wird es draussen schon fast gespenstig still, statt Geschäftigkeit beim endlich erlaubten Tee erleben wir leere Strassen. Händeringend suchen wir nach einem Geldwechsler, den es hier aber nicht gibt – wir hätten uns im Nest gleich nach der Grenze mit iranischen Rial eindecken sollen! Unsere Rettung kommt in der Gestalt eines Einheimischen, der lange Zeit in Holland gelebt hat und nun hier Küchenarmaturen verkauft. Er telefoniert kurz mit einem Freund für den korrekten Wechselkurs und tauscht uns unsere 50-Euro-Note. Jetzt sind wir erstmals (Rial)-Millionäre!

DSC04167

Da der Magen von Yvonne immer noch etwas rumpelt und die nächsten 300 Kilometer vor allem Hitze, Ramadan und wenig bis gar keine Dörfer versprechen, beschliessen wir, auf die Weiterfahrt per Rad zu verzichten und stattdessen bequem den Bus nach Tabriz zu nehmen. Dort erwartet uns ja bald Besuch aus der Schweiz!

2 Kommentare

  • Susanne

    „Sack“ sieht ja gar nicht so übel aus, liebe Yvonne.
    Aber isch es bizzeli heiss, gäll!
    Lieber Gruss aus der freizügigeren Schweiz.

  • Daniel Wulle

    Schön von euch zu hören und euch zu sehen! Ob mit Sack oder Geld… Genießt die Velofreie-Zeit und den Besuch aus der fernen Schweiz, um den Iran zu entdecken. God bless you!

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert