Iran

45 Grad und Freudenschreie

16. Juli – der Tag, an dem wir uns in Tabriz mit Andrea und Andrew treffen sollen. Unser Besuch aus der Schweiz hat Iran trotz Ramadan und Sommerhitze als Feriendestination gewählt: Respekt! Gemeinsam wollen wir Städte mit so klingenden Namen wie Esfahan, Shiraz und Yazd besuchen. Und wie treffen wir uns in einer Millionenstadt? Kein Telefon brauchts, kein SMS und auch kein E-Mail: Wir werden auf der Suche nach einer Geldwechselstube vom stadtbekannten Touristenführer Nasser Khan in sein Büro gezerrt, wo wir mit einer Stadtkarte und Tipps bestückt werden. Während wir im weichen Sofa sitzen, hören wir plötzlich Stimmen und „Switzerland“ und dann? Stehen die beiden vor uns – einen grösseren Zufall gibts gar nicht! Die Freudenschreie sind den Herren Touristenführern etwas gar unziemlich. Das öffentliche Bekunden von Emotionen ist hier nicht an der Tagesordnung und wir werden gebeten, doch etwas leiser zu sein. So machen wir uns auf den Rückweg in unsere Unterkunft, wo wir gleich die Tichukarten auspacken und die erste Runde des lang ersehnten Iran-Tichuwettkampfs starten. Viele weitere Spielrunden werden folgen, womit wir jeweils mit 0.0%-„Bier“ und Snacks die Bruthitze des Nachmittags hervorragend überbrücken können.

Die Erkundungstour zu viert setzen wir bald zu fünft fort: Auf der Strasse spricht uns Ali an, ein Deutsch-Iraner mit einer bedauernswerten Geschichte. Er lebt eigentlich in Deutschland, sitzt aber seit rund zwei Jahren in Iran fest, weil ihm der Reisepass abgenommen wurde und er nun nicht mehr ausreisen kann. Organisiert wurde das Ganze von seinem iranischen Vater, der ihn schon als Kind einmal von Deutschland nach Iran entführt hatte und ihn nun mit Zwang in der fernen „Heimat“ behält. So bringt Ali sich mit einem Job in einer Pizzeria über die Runden und träumt von einem baldigen Ende seiner Odyssee, der Rückkehr nach München – und natürlich von einem richtigen Bier. Da Ramadan ist und sein Restaurant derzeit renoviert wird, hat Ali Zeit und führt uns durch die Stadt, hilft uns beim Kauf einer iranischen SIM-Karte und beim Lesen der Speisekarte beim Abendessen. Reis und Fleisch beziehungsweise Reis, Linsen und Kartoffeln für die Vegetarier stehen letztendlich auf dem Tisch. Und dabei soll es an vielen weiteren Abenden bleiben – die iranische Küche glänzt nicht gerade mit Abwechslung…

Hmmmmmm

Tags darauf machen wir uns früh auf den Weg, finden die gut versteckte Blaue Moschee fast nicht und wandeln durch das Labyrinth des riesigen, UNESCO-geschützten Basars der Stadt, wo immer die gleichen Handelsgüter an einem Ort vereint sind. In der geräumigen Teppichabteilung gibts nur Teppiche, wohin das Auge reicht. In der Schmucksektion glänzen die vielen kleinen Geschäfte mit Gold und Silber um die Wette. Der Abschnitt mit den Schuhen ist unüberschaubar und riecht abwechslungsweise nach frischem Leder oder Plastik. Für die Sinne wie immer am schönsten aber ist die Abteilung mit den Gewürzen – wie die zahllosen Körbe mit Kräutern, Blüten und Gewürzen duften! Kunstvoll geschichtete Würzmischungen türmen sich abenteuerlich auf silbernen Platten, Rosenblüten verströmen ein süsses Bouquet und getrocknete Kräuter duften nach einer gemähten Alpwiese. Einfach wunderbar!

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Zurück im Hotel staunen wir nicht schlecht: Neben unseren Velos steht neu ein Motorrad mit Berner Kennzeichen. Wenig später gesellen sich Joséphine und Simon dazu, die auf dem Töff in die entgegengesetzte Richtung reisen. Erfahrungen und Empfehlungen werden ausgetauscht, bevor wir aufbrechen in unsere Ferien von den Veloferien. Per Nachtzug im bequemen Viererschlafwagen fahren wir für kleines Geld nach Teheran. Das Beste daran: Die Damen können sich endlich ihrer Kopftücher entledigen – wenn es nur nicht alle drei Minuten an der Türe klopfen würde und uns jemand Nüsse schenkt, Bettzeug bringt oder die Teebestellung aufnimmt. Doch wohin mit den Rädern? Wir werden an den Cargo-Schalter verweisen. Dort erklärt uns ein netter Herr, dass wir die Velos problemlos im Gepäckwagen befördern können. Fakultativ kann dabei eine Versicherung abgeschlossen werden für den Fall, dass unsere Velos auf dem Weg verloren gehen. Die Kosten der Versicherung richten sich nach dem Wert der Ware. Was nun? Den echten Wert angeben und das Mehrfache unserer Schlafwagen-Fahrscheine bezahlen? Oder tiefstapeln und die Räder als Billigware deklarieren? Mir ist mulmig dabei, da wir die Velos unabgeschlossen aus den Augen lassen müssen. Also teile ich den wahren Wert der Zweiräder mit, worauf es im Büro einen Moment still wird. Die Beamten können es wohl kaum glauben, dass ein Vehikel ohne Motor ein Mehrfaches ihrer Monatslöhne kostet! So schliesse ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Versicherung in Millionenhöhe ab…

Nach einer beschaulichen Fahrt durch die Nacht trennen sich in der Hauptstadt unsere Wege für kurze Zeit – wir haben ja noch eine Rechnung beziehungsweise ein Visum bei den Turkmenen offen. Während unsere Feriengäste direkt in den Süden weiterreisen, quartieren wir uns im fahrradfreundlichen Budgethotel im Pneuhändlerquartier ein. Die Fahrt dorthin durch die Stadt verläuft erstaunlich friedlich, es ist Freitag und somit iranischer Sonntag und nur wenig los auf Teherans Strassen. Am Abend schlendern wir durch die Gassen, auf der Suche nach einem Restaurant – und bleiben letztendlich erfolglos: Ausser ein paar Frittenbuden finden wir im Umkreis von 2km gerade mal ein winziges Lokal mit vielleicht acht Tischen, die natürlich bis auf den letzten Platz besetzt sind. Wir lernen rasch: Nahrungsmittelbeschaffung in Iran ist eine Herausforderung, während des Ramadans gleich doppelt.

Da die turkmenische Botschaft am Samstag auch noch geschlossen ist, dürfen wir einen weiteren Besichtigungstag einlegen. So sitzen wir mit den Iranern im schattigen Park, wo auch tagsüber recht ungeniert gegessen und getrunken wird. Schlendern durch den Basar (gemäss Lonely Planet einer der schönsten Irans, wie auch in Tabriz, Esfahan, Shiraz und vermutlich jeder mittelgrösseren Stadt hier…). Lassen uns überreden zu einer Teppichlektion bei Hossein Hosseini, der uns seine ausgesuchten, wirklich fabelhaften handgeknüpften Teppiche präsentiert, mit seiner geschickten Verkaufstaktik bei uns allerdings auf Granit stösst. Schwitzen bei den Bäckern mit, die am offenen Holzofen die Fladenbrote an die Innenwand kleben und nach wenigen Augenblicken wieder herausfischen – das Brot erhält hier uneingeschränkt das Prädikat „ofenfrisch“.

Dann gilt es ernst, das kurze Zeitfenster der turkmenischen Botschaft am Sonntagvormittag gilt es zu nutzen. Mit der Metro fahren wir ans Nordende der Stadt. Den Fussmarsch danach unterschätzen wir, weshalb bei unserer Ankunft bereits eine grosse Menschentraube vor dem Schalter steht. Verpasst haben wir noch nichts, wie wir von anderen Fahrradreisenden erfahren: Wer will es denn hier schon so genau nehmen mit Öffnungszeiten! Irgendwann geht das kleine Holzfensterchen auf und alle stürzen sich darauf. Uns kommt das noch unorganisierter als beim Usbeken in Istanbul vor, mir schwant Böses. Und tatsächlich: Nachdem wir die zahlreichen Formulare bereits auf dem Konsulat in Istanbul zum zweiten Mal ausgefüllt hatten (wir erinnern uns: dem dortigen Konsul passten die im Internet heruntergeladenen Vorlagen der Botschaft in Ankara nicht und wir mussten nochmals alles auf seine selbstgeschusterten Formulare kritzeln), werden wir jetzt erneut angewiesen, den ganzen Krempel auf ein iranisches Formular zu schreiben, inklusive Passfotos. Was?? Genau die haben wir natürlich im Hotel gelassen. Na toll! Wir sehen uns schon am nächsten Tag nochmals antraben, da hilft uns glücklicherweise eine ebenfalls wartende Frau. Sie spricht Russisch und übersetzt mein Flehen, dass wir doch bereits registriert seien und sogar eine Einladungsnummer hätten. Das wirkt. Nach drei Stunden Herumsitzen und Warten kommt die glückliche Wende. Je 55 Dollar abgezählt in neuen, unzerknitterten Scheinen durch die Luke aushändigen, eine Quittung unterschreiben und tataaaa: Da sind unsere Pässe mit dem hübschen turkmenischen Kleberchen drin. Juhuuu! Unser Dank geht an Herr Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow und seine hervorragend ausgebildeten Angehörigen der verschiedenen konsularischen Niederlassungen in aller Welt – dank deren weitsichtigen und unermüdlichen Bemühungen dürfen wir nun volle fünf Tage durch die gnadenlos heisse Karakum-Wüste holpern.

Der Weg nach Zentralasien ist nun frei und wir machen uns auf, unsere beiden Gäste aus der Schweiz im Süden einzuholen. Die Velos lassen wir in Teheran zurück – für 10 Tage reisen wir nun ganz ungewohnt mit kleinem Gepäck per Bus durchs Land. Erster Zwischenhalt in Kashan, die Wüstenhitze wirft uns fast wieder in den Bus zurück. Es ist 45 Grad am Schatten und fühlt sich an, als bliese ein überlebensgrosser Fön mit voller Leistung auf uns ein. Wir bereuen es keine Sekunde, die Räder nicht dabeizuhaben.

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Beeindruckend sind hier die traditionellen Lehmhäuser. Auf verschiedensten Ebenen sind mehrere lauschige Innenhöfen und unzählige Zimmer mit bunten farbigen Fenstern untergebracht. Riesige Windtürme sorgen auf ausgeklügelte Weise für ein kühlendes Klima. Ebenso imposant sind die Systeme zur Wasserzufuhr. Wie exotisch, farbig und betriebsam muss so ein Anwesen in voller Pracht und mit all den Bewohnern und Gästen gewesen sein! Wir beziehen unser Nachtlager in einer traditionellen Unterkunft und geniessen die entspannende Atmosphäre im einladenden Innenhof. Im Fischteich plätschert ein kleiner Springbrunnen, die persischen Divane sind von Reben umrankt. Verschiedenste Bäume und Sträucher versprechen etwas Kühlung und verströmen einen angenehmen Duft. Und dann passiert etwas, das wir von diversen Wüstenregionen dieser Welt schon bestens kennen. Zwei Kinder klopfen an unsere Zimmertür und rufen: Money, money!

5 Kommentare

  • Daniel Wulle

    Schön von euren Ferien zu hören! Danke für die letzten beiden Ramadan und Hitze Berichte und die tollen Fotos! Unglaublich das Timeing mit euren Freunden A. und A. in Tabriz. Die Speisekarte klingt vielversprechend, vor allem das Vegetarische… wirklich… Die Fortsetzung der Visa-Geschichte mit Happy End. Freue mich für euch über die bald gefallenen Hüllen und das kühle Bier. Grüsse aus der auch hochsommerlichen Schweiz von uns allen…

  • Herr K.

    Da soll noch einer sagen, die Turkmenen hättens nicht drauf mit wirkungsorientierter Verwaltung…
    Und Gratulation zum erfolgreichen Widerstand gegen die gewieften Verkaufstaktiken des Teppichhändlers. Das war wohl nur für jemanden möglich, der höchstselbst die weltbeste Verkaufsschulung durchgemacht hat. Auch wenn sich deren Erfolg spät einstellt – immerhin zeigt er sich!
    Gute Weiterreise in die diversen -stäner!

  • irgendlink

    Auf welch Zuckerstückchen der Reisebloggosphäre bin ich denn hier gestoßen? Sehr schön gemacht, dieses Blog. Weiterhin gute Reise und wenig goldene Himbeeren.
    Gefunden habe ich Euch übrigens durch Thorsten Müller, dem Ihr wohl begegnet seid?

    • Christian

      Hallo Irgendlink, danke für die Blumen! Wir verteilen die goldenen Himbeeren ja immer möglichst sparsam… 😉 Thorsten sind wir bei Dubrovnik begegnet, das war vor seeeehr langer Zeit.

  • Monsieur T

    Und ihr seid euch sicher, dass solch weltliche Kartenspiele während des Ramadans kein „حرام“ sind ?-)
    Wünsche euch eine, hoffentlich zumindest teilweise, klimatisierte Reise durch Turkmenbashis lustiges Zuhause.

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