Persischer Wein und ein Kinobesuch
Vielleicht sollte man den Iran ausschliesslich mit dem Velo bereisen: Zufall oder nicht, jetzt wo wir für zwei Wochen als „fahrradlose“ Touristen unterwegs sind, scheint es, als wären wir viel eher Ziel von seltsamem Verhalten oder gar Abzockerei. Im kleinen Wüstenort Kashan zum Beispiel werden wir auf der Suche nach einem Hotel mitten auf der Strasse von einem Einheimischen aufgelesen, der uns dazu überreden will, in einem Haus zu übernachten. Es stellt sich als überteuertes, unlizenziertes Loch ohne Bett und WC heraus. Als wir dankend ablehnen, ist es mit der Freundlichkeit vorbei und wir sollen für die kurze Autofahrt auch noch bezahlen. Auf dem Busbahnhof in Yazd werden wir rundheraus angelogen, nur um uns ein teureres Busticket verkaufen zu können, in Esfahan werde ich auf dem Bazar angegrapscht, und ein komischer Typ verlangt ein Foto mit mir (mit unserer Kamera!) und legt dabei verbotenerweise den Arm um meine Schultern. Geits no? Da sagen wir nur:
Doch dem gegenüber stehen zum Glück auch viele schöne Begegnungen: Bei der Ankunft in Esfahan steigen wir in einen öffentlichen Bus und als wir das Portemonnaie zücken wollen, winkt der Fahrer ab. Viel lieber will er wissen, woher wir kommen und wie uns sein Land gefällt. Als wir am Abend in der Dunkelheit über den riesigen Naqsh-e Jahan Imam Platz schlendern, wo auf jedem freien Stück Rasen iranische Familien auf ihren ausgerollten Perserteppichen picknicken, werden wir von Ari und seinen zwei Schwestern angesprochen. Sie laden uns auf eine kühle Limonade ein und wollen uns unbedingt wieder treffen. Da am nächsten Tag Andrea und Andrew nach ihrem Wüstentrip wieder zu uns stossen, pilgern wir am Abend zu viert ins nobelste Hotel der Stadt: In dessen lauschigem Garten treffen wir Ari und seinen netten Schwestern zu Zimt-Tee und Süssigkeiten. Natürlich haben wir beim Bezahlen keine Chance: Wir sind die Gäste und deshalb eingeladen, basta! Gut, ist „Danke“ auf Persisch so einfach zu merken: Merci!
Am kommenden Tag nehmen wir unseren Tichu-Wettkampf wieder auf, schlendern durch den Basar, besichtigen Moscheen und gehen ins Kino. Kino? Aber sicher! „Le passé“ heisst der Streifen des iranischen Oscar-Gewinners Asghar Farhadi und wir grinsen amüsiert, als uns der Mann am Ticketschalter drei Mal eindringlich darauf hinweist, dass der Film im Fall auf Französisch sei. Ja klar, besser als Farsi, oder? Haha. Als wir mitten am Nachmittag als die fast einzigen Gäste im riesigen, gekühlten Kinosaal sitzen, fühlt es sich ein bisschen an wie an der Französisch-Matur: Man ist sich sicher, dass man eigentlich alles verstehen müsste, aber irgendwie sprechen doch alle zu schnell und zu viel. Wer in diesem in Cannes prämierten Film wie was warum getan hat, darüber rätseln wir im Debriefing bei einem 0.0%-Bier noch lange… 🙂
Sieben Stunden Busfahrt durch endlose Wüstenlandschaften später erreichen wir Shiraz. Was für ein klingender Name! Hier wuchsen einst üppige Weinberge und Bilder von anno dazumal erzählen von besseren Zeiten, als die berühmte Syrah-Traube noch mehr hergab als ein alkoholfreies Malzgetränk mit Traubengeschmack… Neben dem Besuch des antiken Persepolis (erhielt leider nicht von allen die Höchstnote) ist eines der Highlights der Besuch des Mausoleums des „King of the light“. Ohne grosse Erwartungen betreten wir das Areal, das rein theoretisch von Nichtmuslimen gar nicht besucht werden dürfte. Andrea und ich steuern auf den Fraueneingang zu. Unter Gekicher sowohl von uns als auch der Aufpasserinnen hüllen wir uns in den Ganzkörper-Leih-Tschador. Umwickelt mit noch einer Stoffschicht mehr, realisieren wir, wie unglaublich heiss es besonders für die konservativen iranischen Frauen im Sommer sein muss: Unter dem zusätzlichen Leintuch bildet sich ein Mikroklima wie in einer Biosauna, und der Schweiss fliesst in Strömen.
Wein, (unverschleiertes) Weib und Gesang: Früher ging es im Iran offenbar fröhlich zu und her!
Trotzdem sind wir beeindruckt: Das Innere des Mausoleums ist mit Zillionen von winzigen Spiegeln ausgekleidet, und es funkelt und schimmert wie im Märchenpalast. Als Andrea und ich uns als Nichtgläubige in sicherer Distanz am Heiligtum vorbeischleichen wollen, winkt uns eine freundliche Aufpasserin aufmunternd zu: „Nur zu, Mädels!“, scheint sie zu sagen und lacht übers ganze Gesicht. Die Frauen hinter uns drängeln und schubsen, denn jede will möglichst nahe ran. Mit tiefandächtigem Blick wird der Schrein unzählige Male berührt, gestreichelt und geküsst, und alle paar Minuten fuchtelt eine Aufpasserin mit einem Staubwedel dazwischen – man legt ja Wert auf Sauberkeit! Vermutlich setzt sie dabei auf den bei uns völlig unbekannten Effekt, dass die Bakterien vor Lachen sterben… doch unsere Überlegungen zu Hygiene & Co. werden jäh unterbrochen. Laut schluchzend steht eine Gläubige vor dem Schrein und lässt ihren Emotionen freien Lauf. So grosse Trauer um eine Figur, die vor geschätzten 1500 Jahren gestorben ist? Für uns schon speziell, irgendwie.
Doch keine Zeit zum Sinnieren, weiter zum Gebet! Auf der linken Seite der Moschee sitzen die Männer, auf der rechten wir Frauen. Jede hat ein Gebets-Schämeli mit einem Koran vor sich und liest laut oder leise mit. Wir setzen uns frech dazu, lassen die Atmosphäre auf uns wirken und beäugen das pompöse Dekor. Plötzlich tritt eine Aufpasserin heran. Ui, kommt jetzt der Rausschmiss? Im Gegenteil! Die Dame schlägt mit freundlichem Lächeln die passende Seite im vor uns liegenden Koran auf und deutet mit aufmunterndem Nicken auf die richtige Stelle. Wir können uns das Schmunzeln nicht verkneifen: Lieb gemeint, danke, aber leider verstehen wir immer noch Bahnhof.
Ein ähnlich lustiges Bild müssen wir einen Tag später abgegeben haben, als wir uns im Mausoleum des berühmten iranischen Dichters Hāfez zu viert ganz ungeniert auf einen Outdoor-Gebetsteppich setzen und den kunstvoll gemalten Koran bestaunen. Flugs kommen Helferlein angerannt, bringen Sandwiches und eine persisch-englische Ausgabe des heiligen Buches. Der Priester unterbricht gar seinen Sermon und wir werden via Mikrofon auf Englisch herzlich begrüsst. Die vier Nichtgläubigen auf dem Gebetsteppich beim Studium der heiligen Schrift: Ein nicht zu verpassendes Fotosujet! In den nächsten Minuten sind wir die Attraktion Nummer eins im Gelände und landen auf unzähligen Kameras und Handys – und wer weiss, vielleicht auch in der nächsten Propagandakampagne der iranischen Regierung…
Wieder acht Stunden Busfahrt später kommen wir in die Wüstenstadt Yazd. Die Temperatur steht bei rekordverdächtigen 45 Grad und die Architektur passt sich dem an: Gebaut wird wegen der Hitze fast ausschliesslich aus Lehm. Es macht Spass, einmal ganz ohne Ziel durch die verwinkelten Lehm-Gässlein zu streifen und sich treiben zu lassen. Kein Wunder, dreht sich in einem Wüstenstaat alles um Kühlung und Wasser: Im Water Museum erhalten wir einen Eindruck davon, wie in früheren Zeiten (und in kleineren Ortschaften noch heute) aufwändig unterirdische Wasserkanäle gegraben wurden, welche ganze Dörfergemeinschaften versorgten. Im Keller der Häuser gabs dadurch gleich auch noch einen gekühlten Raum: Vermutlich besser als jede heutige Klimaanlage!
Die Fahrt zurück nach Teheran ist kein Highlight: Wir sitzen in der vordersten Reihe und müssen zuschauen, wie unsere beiden Fahrer abwechselnd wie Kamine schloten oder essen, während sie mit der noch verbleibenden Hand ein SMS nach dem anderen tippen. Zwischendurch werden die Kippen, Plastikflaschen und der ganze übrige Müll bequem durch das Fahrerfenster entsorgt. Fragt uns nicht, welche Hand noch blieb, um das Steuerrad zu halten… Mitten in der Nacht werden wir im teheranischen Nirgendwo aus dem Bus geschmissen („You, out!“). Die Taxifahrt zurück zu unserem Hotel, wo brav die beiden Räder warten, bleibt allerdings unvergessen: Wir teilen uns das Fahrzeug mit zwei anderen Gästen und der Fahrer hält an jeder zweiten Ecke und fragt, wo er als nächstes abbiegen muss. Vermutlich wären wir dank GPS selber schneller ins Hotel gefahren…
Und dann geht alles ganz schnell: Eine letzte verbotene Umarmung, ein letztes Winken, und unser lieber Besuch ist auf dem Weg zurück in die Heimat. Andrea und Andrew – dass ihr es mit uns drei Wochen bei Hitze, abwechslungsfreiem Essen, komplett alkoholfrei, bei Ramadan und uns in der immer gleichen Kluft (das grüne T-Shirt lässt herzlich grüssen) ausgehalten habt, für das verdient ihr wahrlich eine
goldene Velopalme®
In Turkmenistan trinken wir ein grosses Bier auf euch! 🙂
5 Kommentare
Nik & Lena
Grossartig, mit Euch Ferien zu machen!
Nur dass es zwischendurch diskret gesagt ist: ich lese jeden Blog-Eintrag von Euch und bin jedes Mal wieder kurz in orientalischer Hingabe versunken 😉 DANKE
Grüsst mir alle Basare herzlich! Und häbets guet!
Nik
irgendlink
Der erste Newsletter seit Bestellung. Sehr schön. Danke dafür. Viel Glück und nette Menschen weiterhin.
Jürgen
Beatrice
Hallo ihr beiden; Euer Blog gehört für mich zu den Highlights des Jahres 2013! Unglaublich, aber wahr: Es liegen nur noch zwei Länder vor euch und ihr seid bereits in China! Wie weit solls dort eigentlich gehen?
Alles Liebe, Bea
Yvonne
Hallo Bea
Deine lieben Zeilen kamen genau zum richtigen Zeitpunkt! Wir sind gerade sehr frustriert durch die Strassen von Bukhara gelaufen, denn das chinesische Visum scheint eine grosse Knacknuss zu werden… Falls wir also je nach China einreisen dürfen, dann gehts quer durch – in den Süden. Ihr wisst ja, vor unserem geistigen Auge schwebt schon lange das grüne Curry und der Mai Tai in Thailand! 🙂
Ganz herzliche Grüsse,
Yvonne
Christian
Den schnöden Einzeiler zu Persepolis kann ich nicht unkommentiert lassen. Immerhin ist das ein Top-Highlight in Iran! Ab etwa 512 v.Chr. erbaut, waren das vermutlich die grössten und prunkvollsten Gebäude ihrer Zeit, bis dann leider Alexander der Grosse kam und alles niederbrannte. Mit etwas Fantasie kann man die einstige Pracht und Grösse erahnen! 😉