Zentralasien

Mit Überschall durch O’zbekiston

Da stehen wir also, vor dem nüchternen Schalter der chinesischen Botschaft in Taschkent und schieben mit innerlich zittrigen Händen unseren Abholzettel hinüber. „Ni hao“, sagen wir überfreundlich (wie wenn das jetzt noch helfen würde, haha): Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen! „Ni hao“, antwortet die ansonsten ebenso nüchterne Chinesin auf der anderen Seite (Erfolgserlebnis! Sie hat uns verstanden!), nimmt den Zettel entgegen und sucht unsere Pässe. Da sind sie, nicht zu übersehen blinken sie in ihrem satten, patriotischen Rot aus all den grünen Usbekenpässen heraus. „80 Dollar“, sagt die Frau, und wir sind einmal mehr überrumpelt. Heisst das jetzt, wir haben tatsächlich ein 60-Tages-Visum in unserem Pass? Oder sind wir ein erstes Mal Opfer chinesischer Willkür und zahlen je 80 Dollar für ein lausiges 30-Tages-, oder schlimmer, ein 15-Tages-Visum? Da die Chinesin noch immer mit finsterem Blick unsere Pässe umklammert, haben wir keine Chance zu erfahren, für was wir sogleich bezahlen werden. Egal, sagen wir uns, und schieben ergeben zwei 100-Dollar-Scheine rüber. Nein nein, 80 Dollar für beide, meint die Chinesin, schiebt das Retourgeld und unsere Pässe zurück und wir fallen wie die Geier über unser wiedererlangtes Eigentum her…

Einen kleinen Schrei mitten in der Botschaft können wir nicht unterdrücken: Das gibt’s ja nicht! Anstandslos und ohne tückische Fangfragen haben wir ein 60-Tages-Visum für China in unseren Pässen. Halleluja!!

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Visa-Jubel beim üppigen usbekischen Frühstück

Das einzige Problem, das wir jetzt noch bzw. neu haben: Rechtzeitig an der chinesischen Grenze zu stehen. Denn bis zur spätestmöglichen Einreise am 21. September bleiben uns nur noch 29 Tage Zeit. Und das für 700 Kilometer in Usbekistan und 1300 Kilometer in Tadschikistan und Kirgistan.

Noch am selben Abend besteigen wir deshalb den Nachtzug nach Samarkand. Wie viel Blut, Schweiss und Hartnäckigkeit es kostet, in einem usbekischen Bahnhof ohne Russischkenntnisse Zugtickets zu erwerben, ersparen wir euch an dieser Stelle. Die Ankunft morgens um vier Uhr, die 10 Kilometer Fahrt durch die nächtlichen Vororte und die heruntergeklappte Kinnlade, als wir mitten in der Nacht plötzlich vor den hell erleuchteten Moscheen Samarkands stehen, ist dafür umso unvergesslicher.

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Leider empfängt uns Samarkand mit keiner guten Nachricht: Da demnächst ein grosses „internationales“ Musikfestival stattfindet, an dem der Herr Präsident höchstpersönlich anwesend ist, ist Samarkand derzeit unter Totalrevision: Armeen von freiwilligen Hausfrauen schnipseln im Park an den Buchsbäumen, die Männer streichen Parkbänke und Dolendeckel. Und die Hauptattraktion Samarkands, das Registan, ist bis auf weiteres geschlossen. Na toll: Da schränzen wir extra zwei wertvolle Tage Tadschikistan von unserer Überschallfahrt nach China ab, um dieses unglaubliche kulturelle Erbe zu bestaunen, und dann ist es wegen ein paar probenden Trachtengruppen fürs Publikum geschlossen. Hah!

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Obwohl uns Samarkand noch steriler und lebloser vorkommt als Bukhara, lohnt sich unser Besuch dann doch. Zwei Tage und eine halbe Nacht haben wir, um mit unseren polnischen Radlerfreunden im gemütlichen Bahodir B&B ein, zwei Biere zu trinken und ein, zwei weitere mosaikbestückte Moscheen zu besichtigen.

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Unser Nachtzug nach Denau im Süden Usbekistans fährt um 2.30 Uhr morgens. Wir glauben, dass uns zu dieser Unzeit wenigstens das Durchleuchten unseres Gepäcks erspart bleibt, doch nichts da. Christian muss gar den Sack mit der Zeltausrüstung öffnen, da die Beamten in unseren Zeltstangen eine gefährliche Bombe orten. Zugfahren in Usbekistan ist ein Erlebnis. Da wir letztes Mal in der Holzklasse mit vier Betten gefahren sind, gönnen wir uns für die 12-stündige Fahrt eine VIP-Loge: Ein Abteil inklusive Flachbildschirm ganz für uns! Jeder Zugwaggon wird von einem separaten Zugbegleiter betreut, der um die korrekte Verteilung der Bettwäsche besorgt ist. Vermutlich gibt es in Usbekistan genauso viele Zugbegleiter wie Polizisten – und das ist eine Menge. In Turkmenistan haben wir die massive Polizeipräsenz ja erwartet. Dass aber auch in Usbekistan an jeder Ecke drei Polizisten stehen, bestätigt unseren Verdacht, dass hier unter der Oberfläche ein überaus repressiver Polizeistaat wacht.

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Denau, die letzte grosse Stadt vor der tadschikischen Grenze, empfängt uns nachmittags um zwei Uhr mit drückender Hitze. Im Dorflädeli kaufen wir deshalb erst mal den gesamten Wasservorrat auf und werden so unsere letzten usbekischen Som los.

Das Gelände ist flach, doch die 40 Kilometer bei weit über 40 Grad sind trotzdem kein Spass. Am späteren Nachmittag erreichen wir endlich die Grenze. Wie wir von anderen Reisenden gehört haben, soll die Warteschlage ewig lang und die Bürokratie zermürbend sein. Eines der Übel des Reisens in Usbekistan (neben dem, dass man mit einer Usbekistanreise gleich auch den Durchfall mitbucht) sind die leidigen Registrierungen. Musste man früher noch für jede Nacht einen Hotelnachweis erbringen können, heisst es heute, dass eine Hotelbestätigung alle 72 Stunden genügt. Das bedeutet, dass man hierzulande zum pingeligen Märklisammler wird und von jedem Hotel und jedem Nachtzug den Nachweis mit sich herumträgt. Wer nicht genügend Registrierungen vorweisen kann, zahle bei der Ausreise hohe Bussen, hört man.

Am usbekischen Ausreiseschalter werden wir freundlich begrüsst. Einmal mehr fühlen wir uns eher als Entertainer denn als Bittsteller, und als wir alle Fragen nach dem Woher und Wohin beantwortet und den Gesamtstand unseres Kilometerzählers (6441 Km) gezeigt haben, werden wir freundlich durchgewinkt. Unsere schön gesammelten Registrierungen will man gar nicht erst sehen. Jäää, wars das? Denkste! Im nächsten Gebäude werden wir von einem finsteren Grenzbeamten empfangen. Als wir unsere vollbepackten Räder nicht innert Sekunden die Treppenstufen hochgetragen haben, pfeift er uns schon ärgerlich nach. Das kann ja heiter werden!

Es wird uns ein Formular ausgehändigt, auf dem wir wie bei unserer Einreise unser sämtliches Hab und Gut eintragen müssen. Dass wir jetzt ein Kameraobjektiv und ein paar Karamelbonbons weniger haben, interessiert die Behörden weniger. Dass wir aber noch einige Dollars aus dem Bankomaten gezogen haben und nun mit MEHR Geld ausreisen als wir eingereist sind, ist höchst illegal. Gewiefte Schmuggler wie wir sind, haben wir einen Teil des Bargeldes deshalb in unserer Wäsche versteckt und bibbern ordentlich, als wir den Scanner entdecken. Nicht schon wieder! Oh doch. Wir dürfen alle Taschen abnehmen und durchleuchten lassen. Zum Glück ist die usbekische Aufmerksamkeitsspanne relativ gering und der barsche Herr verliert ab Tasche 9 von 12 komplett das Interesse. Nicht allerdings ohne uns vorher noch nach unseren Medikamenten zu fragen: „Do you have any narcotics?“ Äh… öh… haben wir sowas dabei? „Ach was, bloss ein bisschen Aspirin!“ wiegeln wir ab und fragen uns, was zum Geier das alles soll. Wir wollen doch bloss ausreisen. Und zwar mit Überschall!

Ein Kommentar

  • Daniel Wulle

    Wow! Super! Hallelujah! 60 Tages-China-Visum! In 17 Tagen müsst ihr spätestens einreisen und wir zügeln dann, reisen aus dem Oberdorf in die Grünau! Einige 100 km habt ihr noch vor euch, bleibt gesund! Viel Power und trotz der Schnelle der Reise – viele Einblicke in Kultur, Landschaft und Gesellschaft!

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