Südostasien

Auf der Suche nach Malaysias Charme

Ein bisschen erstaunt sind wir ja schon, als der Zöllner nach keiner halben Minute unsere Pässe durch die Luke schiebt und uns in Malaysia willkommen heisst. Ein zweiseitiges Formular mit den üblich unnützen Fragen zu unserem terroristischen Hintergrund hätten wir erwartet. Oder zumindest ein Foto, bitte recht freundlich und ohne Brille oder Kopfbedeckung. Nichts dergleichen, er knallt nur einen Einreisestempel in den Ausweis und schon dürfen wir drei Monate im Land verweilen. Solcherlei unkomplizierte Verhältnisse haben wir seit der Türkei nie mehr erlebt!

Schon in den ersten Kurven nach der Grenze wird uns klar, dass wir verkehrstechnisch in einer ganz anderen Welt gelandet sind. Auf den Strassen fahren keine schicken Toyota Hilux mehr, sondern klapprige, rostige Limousinen und Kleinwagen aus den 1980er-Jahren. Mit der Zeit erkennen wir einige Zusammenhänge. Viele der Klappermühlen sind mit einem Logo geziert, das wir zuvor nicht kannten. Es handelt sich um Autos der Marke „Proton“, der malaiischen Nationalautogesellschaft. Eine Erfolgsgeschichte scheint das nicht zu sein. Da ausländische Wagen lange mit horrenden Zöllen belegt wurden, fehlte die belebende Wirkung von Konkurrenz. So fahren halt vor allem alte Kisten herum.

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Ein Proton erster Güte!

Wären genauso wenige Autos unterwegs wie in Thailand (48 pro 1000 Einwohner), dann könnten wir weiterhin ganz entspannt auf ruhigen Nebenstrassen nach Süden pedalen. Doch wir haben die Rechnung ohne die verfehlte Verkehrspolitik Malaysias gemacht, die uns fünfmal mehr Kraftfahrzeuge beschert (257 pro 1000 EW). Wir rätseln die ganze Zeit über die Ursache dieser Autodichte, bis uns ein Licht aufgeht: Der Sprit ist im Petronas-Land mit 55 Rappen pro Liter so billig, dass sich alle für jede noch so kurze Strecke motorisiert fortbewegen. Uns beschleicht irgendwann sogar das Gefühl, dass der Staat Arbeitslose dafür bezahlt, mit irgendwelchen Lotterautos in der Gegend herumzukurven. Hauptsache, etwas Öl wird in die Luft geblasen!

Nach langen Monaten mit fremden Schriftzeichen oder Buchstaben sind wir wieder beim wohlbekannten lateinischen Alphabet angekommen. Und nicht nur das: Wie in der Türkei geht es bei gewissen Ausdrücken recht flott mit der Aneignung der neuen Sprache: Auf der Strasse überholen uns die Motosikal, im Laden kaufen wir im Gefrierfach Ais Krem und bezahlen diese am Kaunter. Günstig schlafen tut man im Bajet Hotel, das man sich nach einem Besuch der Hompej per e-mel reserviert hat. An der Stesen weist eine Notis darauf hin, dass die Teksi neu an der Hinterseite des Bahnhofs warten. Am meisten Freude macht uns natürlich das Basikal, obwohl wir fast die einzigen auf einem unmotorisierten Zweirad sind. Wir wandeln kurzerhand den Ohrwurm von Olivia Newton-John ab und singen seither immer wieder mal: „Let’s get a basikal, basikal, I wanna get a basikal!“ Abgesehen von diesen importierten Wörtern ist Malay für uns ausschliesslich Kauderwelsch.

Zigaretten sind wieder in, selbstverständlich rauchen aber fast ausschliesslich die Männer. Die Jungs spielen Fussball und überholen uns viel zu laut und viel zu schnell in Gruppen auf dem Motorrad. Wir merken, dass wir nach dem emanzipierten Thailand wieder in einer Welt der Machos angekommen sind. Irgendwie erinnert uns Malaysia an Albanien. Viele Frauen tragen Kopftuch, der Muezzin ruft mehrmals täglich lautstark zum Gebet. Am Strassenrand sind unzählige Autowaschanlagen auf Kundenfang und beim Autohändler warten wieder glänzige Sportfelgen aller Art auf einen Käufer. Déjà vu!

In den Städten merken wir rasch, wer in welchem Quartier ansässig ist. Stossen wir auf viele Werbetafeln mit chinesischen Zeichen, haben die Chinesen Oberhand. An den vielen offenen Restaurants mit duftenden Buffets sind die Inder-Gegenden leicht zu erkennen. Oftmals ist es jedoch ein buntes Gemisch der verschiedenen Ethnien: Neben dem Hindu-Tempel bietet ein chinesischer Grosshändler gefrorene Hühnerfüsse feil, während gegenüber in der malaysischen Garküche die Inderfamilie genauso wie der Chinese einkehrt.

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Unsere südindischen Favoriten: Roti Canai (links) und Thosai (rechts) sind zu jeder Tageszeit ein perfekter Snack!

Der krasse Wechsel vom Königreich Thailand nach Malaysia überrascht uns. Kurz vor der Grenze fahren wir durch unbefahrene, grüne Landschaften – auf der anderen Seite ist das Land vollkommen gerodet, zugunsten von riesigen, schattenlosen Reisfeldern. Dank dem chinesischen Neujahr sind die Dörfer und Städte gespenstisch leer. Die vielen chinesischen Betonbunkerbauten sind geschlossen und machen einen abweisenden Eindruck. Keine orange gewandeten Mönche, keine lustigen Tuktuks oder Kollektivtaxis, keine kleinen Esstände an der Strasse, stattdessen fahren beschnauzbartete Muftis ihre Schleiereulen auf dem Motorrad zum nächsten Restaurant spazieren – und alles muss natürlich halal sein. Wir fragen uns ganz entsetzt: Ist Malaysia komplett ohne Charme?

Auch landschaftlich begeistert uns das Land mit einigen Ausnahmen wenig, was aber wohl mit unserer Routenplanung zu tun hat: Wir fahren im besiedelten Westen südwärts, da wir mit unserem Flug nach Neuseeland ja nun einen „Termin“ in Singapur haben. Viele Brachflächen warten auf die nächste Palmölpflanzung. Die wenigen Strandabschnitte im Nordwesten des Landes laden selten zum Bade, die Städte verbreiten mangels optischen Reizen oft eine leicht deprimierende Stimmung. Die Strassen sind kilometerweit schnurgerade. Es herrscht immer noch Linksverkehr, was für uns mittlerweile das natürlichste der Welt ist.

Der dichte Verkehr jedoch macht uns auch nach Tagen noch zu schaffen. Gefährlich wird es zwar selten, aber stundenlanges Fahren auf schmalen Strassen in der feuchten Hitze, während pausenlos Motorfahrzeuge an einem vorbeibrausen, ist einigermassen grenzwertig. Von einem Engländer mit malaiisch-chinesischer Frau erfahren wir, dass sich die ärmeren Leute die Autobahngebühren sparen und stattdessen auf den kleineren Landstrassen fahren. Ob die Töff- und Autoflotte deshalb eher aus in die Jahre gekommenen Rostmühlen besteht? Bedrohlich knatternde Motorräder und Autos kurz vor dem gefühlten Verschrottungsdatum wechseln sich ab mit gepimpten „Sportwagen“ mit breiten Reifen, riesigen Auspuffrohren und bedrohlich hohen Heckspoilern.

Und wo werden die vielen Autos nachts hingestellt? Das lernen wir in der Agglomeration rasch. Hier werden Wohnblocks zweigeteilt: Die unteren 10 Stockwerke sind das hauseigene Parkhaus, oben befinden sich die Wohnungen. Ein wahrer Alptraum für den VCS: Während in der Schweiz gegen jeden einzelnen Parkplatz gekämpft und Einsprache erhoben wird, gibt es hier vermutlich eine Pflicht, den Bewohnern eine ausreichende Anzahl an Garagenplätzen bereitzustellen.

In drei Etappen fahren wir bepackt mit lauter neuen Eindrücken nach Butterworth, wo wir zum ersten Mal seit Istanbul eine Fähre besteigen. Unser Ziel: Georgetown, ein kultureller Schmelztiegel sondergleichen auf der Insel Penang und seit 2008 Unesco-Weltkulturerbe. Wir verlieben uns sofort in dieses faszinierende Gemenge von chinesischer, indischer und malaiischer Kultur. Na endlich: Hier ist er, der Charme von Malaysia!

4 Kommentare

  • Ursi Finsterwald

    Hallo Ihr zwei Weltenbummler
    Georgetown ist wirklich nett, wir waren im Januar 2011 da!
    Lieber Gruss & weiterhin gute Fahrt in Malaysia
    Ursi

  • Daniel Wulle

    Petronas, Multikulti, Georgetown… Vielen Dank für die Berichterstattung… Bald wir dies Vergangenheit sein nach Neuseeland… Wir geniessen den Frühling im und rund ums Haus – es ist mega cool! Bis bald….

  • irgendlink

    „beschnauzbartet“, was für ein geniales Verb! Ein Auto-parken Traumland muss das sein. Als oft Schweiz-Besucher weiß ich ein wahres Klagelied zu singen über die Parksituation in selbst den kleineren Städten. Überall kostet es, oder man muss anwohnen. Die geliebte SoSo und ich haben schon seltsame Lösungen entwickelt für Ausländer in der Schweiz: Das Auto zerlegen und im Kühlschrank lagern etwa, oder es an einen Heißluftballon binden und, die wohl realistischste Lösung, Nummernschilder ab, Preisschild ins Fenster und bei einem Autohändler auf den Hof stellen. Auch in Malaysia parken und mit dem Flieger nach Zürich fliegen, scheint eine praktikable Lösung, die wir unbedingt in unseren Katalog aufnehmen werden.
    🙂

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