Südostasien

Und täglich macht es „Päng!“

Witzig, wie unterschiedlich Länder sein können! Die Veränderungen hinter Staatsgrenzen ist etwas, das uns immer aufs Neue fasziniert. Wie fast überall fragt man uns in Malaysia zuerst: „Woher seid ihr?“ In Thailand hingegen interessiert stets nur das Gegenteil: „Wohin des Weges?“

Die malaiischen Chinesen sind gesittet, freundlich und zivilisiert, sprechen Englisch, bauen hübsche Tempel und bewahren ihre Traditionen. Die Chinesen in China hingegen ersetzen ihre Vergangenheit mit Hochdruck durch moderne Wolkenkratzer und Schnellstrassen. Schon komisch: Optisch erscheint uns Malaysia um Welten chinesischer als das Mutterland.

Und etwas Weiteres fällt uns ins Auge – das heisst, ins Ohr. Kaum über die Grenze gefahren, werden wir nicht nur zu jeder Tages- und Nachtzeit von überlauten, übermotivierten und scheppernden Muezzins begrüsst, sondern auch von fröhlichem Schwalbengezwitscher. Zwar erfreuen wir uns ob dieser musikalischen Dauerbegleitung, aber irgendwie klingt es zu surreal, um wahr zu sein. Und so ist es. Später erfahren wir, dass die Chinesen mit Tonband-Vogelgezwitscher Schwalben anziehen, damit diese in ihren extra dafür gebauten Betonsilos nisten. Die Nester werden dann teuer ins Mutterland verkauft – zum Essen, natürlich!

Georgetown verlassen wir mit mindestens einem weinenden Auge. Gerne wären wir noch länger verweilt – denn wo sonst auf dieser Erde gibts Iran, China, Indien und koloniales England auf einem Fleck? Dazu kommt, dass die nächsten Etappen wenig Aufregung versprechen. Malaysias Westküste taugt definitiv nicht für Velofahrer: Zu viele dicht befahrene Strassen, zu viele Palmölplantagen, zu viele hässliche chinesische Ladenzeilen und viel zu heiss, als dass es noch gesund wäre. Damit wir nicht bei 46 Grad und mehr radeln müssen, sind wir zudem einmal mehr bereits bei Sonnenaufgang auf den Beinen. Und da wir am Abend doch immer irgendwie hängen bleiben, begleitet uns bald treu ein chronisches Schlafmanko.

Und dann passierts! Bei schweisstreibenden 44 Grad, 96 Kilometer nach Georgetown und 10 Kilometer vor unserem Tagesziel macht es plötzlich „Päng!“ Ich denke mir: Das kann doch wohl nicht…? Das klang doch verdammt nach…?! Ein Speichenbruch?!??

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Gebrochene Speichen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser: Seit unserer Odyssee in Laos stehen sie ganz oben auf unserer Pannen-Hassliste. Nachdem wir am Abend sämtliche Veloläden der Ortschaft abgeklappert haben, wissen wir, dass in Malaysia fleissig billige chinesische Velos verkauft werden, sie danach aber keiner reparieren kann (Tipp für auswanderungswillige Velomechaniker!). So setzt Christian am Abend im Hotelzimmer halt selber eine neue Speiche ein und versucht mit zwei Kabelbindern als Zentrierhilfe, mein Rad rudimentär auszurichten. Ewig gebührt ihm Ruhm im Radlerolymp! Wäre da nicht dieses klitzekleine Detail…

…denn am Tag danach, 30 Kilometer später, macht es hinter mir laut „Päng!“. Ich erstarre innerlich zur Salzsäule und bete, dass es nur ein besonders lautes Knacken im Ohr gewesen sein möge. So viel Pech kann ja gar nicht sein, oder? Wir begutachten schweigend die gerissene Speiche an Christians Hinterrad und schauen uns fassungslos an: Nach 14’000 Kilometern reissen innerhalb von einem Tag Speichen an beiden unserer Hinterräder? Und erst noch in der Mitte, was technisch gar nie passieren sollte? So etwas kann doch kein Zufall sein!

Da Christians Rad noch einigermassen rund läuft und wir die Bremse nicht aushängen müssen, fahren wir konsterniert weiter. Wird ja wohl noch halten! Richtig. Doch leider nicht lange. Erneut 10 Kilometer vor Tagesziel macht es an seinem Hinterrad „Päng!“. Das war dann Speiche Nummer 3!

Am Strassenrand versuchen wir, das doppelte Speichendesaster zu beheben. Derweil kommt im Auto ein netter Malaie angefahren, der mit grossem Interesse unsere Flickaktion verfolgt. Er stärkt uns mit einem frisch gepflückten Pomelo, steckt uns wenig später eine Büchse chinesischer Neujahrskekse zu, lädt uns zu einer Besichtigung seiner Entenfarm ein und versorgt uns noch mit einer kalten Kokosnuss. Goldig!

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Fast hätten wir diesen netten Herrn zur Begegnung des Tages gekürt, wäre da nicht dieser englische Tourenradler gewesen, der während unserer Reparaturaktion vorbeifährt und uns zuruft: „Are you British?“ Nach unserem überraschten „No“ fährt er zackig weiter. Noch goldiger!

Die zwei Speichen von Christian sind inzwischen repariert, doch ist es nun Nachmittag geworden und erneut brütend heiss. Obwohl der nette Malaie nochmals auf der Besichtigung seiner Entenfarm besteht, wollen wir nur noch eines: Ab ins Hotel. Doch wiederum haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nur wenige hundert Meter vor dem Ziel macht es nun in meinem Hinterrad Päng!“ Verzweiflung steht in unseren Augen. Speiche Nummer 4! Was um alles in der Welt geht hier vor?!?

Gezwungenermassen legen wir in Ipoh einen Ruhetag ein, um einen Velomechaniker zu finden, der unsere Räder ordentlich zentrieren kann. Obwohl sämtliche Fakten dagegen sprechen, hoffen wir heimlich immer noch, dass es sich bloss um einen ganz komischen Zufall handelt und diese Speichenreisserei endlich ein Ende nimmt. Anstatt uns wie geplant auf die Routenwahl für Neuseeland konzentrieren zu können, flicken wir jeden Abend erschöpft und verzweifelt eine kaputte Speiche, und das zerrt an den Nerven. In Ipoh finden wir dank Internet tatsächlich einen Chinesen, der Velos nicht nur verkauft, sondern auch repariert, und fahren mit neu zentrierten Rädern am nächsten Tag guten Mutes los. Alles läuft rund, Kilometer um Kilometer zieht an uns vorbei und 10 Kilometer vor dem nächsten Tagesziel fange ich innerlich schon an zu frohlocken: Vielleicht schaffen wir es heute ja ohne… „Päng!“ Mit der fünften gebrochenen Speiche zerplatzen innert Sekunden all unsere Hoffnungen.

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So sieht der malaiische Traum aus: Amerikanische Spanplatten-Villen und Shopping als Lieblingshobby

Es lässt sich nicht mehr wegleugnen und weghoffen: Wir haben ein ernsthaftes Problem. Fünf Speichen sind gebrochen, weitere fünf haben wir noch. Dann ist Schluss. Wir steigen ab und betrachten einmal mehr das Übel. Da Malaien grundsätzlich nette Menschen sind, kommen scheu ein paar Jungs auf uns zu. Ob wir ein Problem hätten? Als wir ihnen die Situation erklären, breitet sich betroffenes Schweigen aus. Um die ratlose Stille zu füllen, fragt schliesslich einer ganz hoffnungsfroh: „Do you have friends in Malaysia…?“ Wir müssen laut lachen: Klar, einer unserer vielen malaysischen Freunde wird gleich mit seinem Proton auftauchen und uns aus der Misere helfen!

Sowieso sind die Begegnungen mit Malaien zuweilen reif für die Komödie. Als wir eines Nachmittags mitten in einem Kaff neben vielen Klapperkisten im Stau (!) stehen, hupt es neben mir frenetisch. Ein junger Mann kurbelt begeistert das Autofenster herunter, reisst seine Sonnenbrille vom Gesicht und ruft mir erwartungsfroh zu: „Do you remember me?!“ Mein Hirn fängt an zu rotieren. Hat er uns bei einem Speichenbruch geholfen? Den Weg gewiesen? Oder war es jener, der uns zwei Mandarinen schenkte? Mist, keine Ahnung! Doch, doch, ruft er ganz enttäuscht: Er habe uns doch vor ein paar Kilometern hinter der getönten Autoscheibe hervor zugewinkt! Oh! Wie konnten wir ihn nur vergessen: Winker Nummer 1287!

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Dank feucht-tropischem Klima wird selbst Herr Baum zum Vermieter

Wie immer mit gebrochener Speiche treffen wir in Teluk Intan ein, dem malaysischen Pisa inklusive schiefem Turm. An diesem Abend beschliessen wir, uns weitere touristische Highlights wie die bekannten Teeplantagen der Cameron Highlands ans Bein zu streichen, und so schnell wie möglich nach Kuala Lumpur zu fahren. Damit wir im Notfall unsere maroden Räder einpacken und in einen Zug steigen können, fahren wir einen Umweg in Richtung Zugslinie. Über jede Delle, jedes Schlagloch fahren wir mittlerweile so, als hätten wir anstatt Kleidern rohe Eier im Gepäck, und bei jedem scheuen Rumpeln verziehen wir schmerzverzerrt das Gesicht. Es fühlt sich an wie eine tickende Zeitbombe spazierenzufahren: Man weiss, dass sie in die Luft geht, aber nicht, wann. Und prompt: Als es zum sechsten und siebten Mal „Päng!“ macht, ist für uns klar: Die restlichen 100 Kilometer nach Kuala Lumpur verbringen wir im Zug.

Der Intercity will uns und unsere kaputten Gäule nicht mitnehmen, deshalb gondeln wir in der lokalen S-Bahn gemütlich und eisgekühlt in die Millionenmetropole. Und dann beginnt das grosse Recherchieren. Doch das Ergebnis ist ernüchternd: Fast scheint es so, als wären wir das erste Mal auf unserer grossen Reise tatsächlich gestrandet. Wegen unserer Rohloffnabe haben wir eine spezielle Speichenlänge, die offenbar in ganz Südostasien nicht erhältlich ist. Von Bangkok über Kuala Lumpur bis Singapur, ja gar Sydney, Auckland und Christchurch schreiben wir sämtliche möglichen Händler an. Durch einen anderen Reiseblog erfahren wir schlussendlich von einem Veloladen in Kuala Lumpur – Akmal. Als Akmal auf unser E-Mail zurückschreibt, dass seine Speichen-Schneidmaschine die Lösung all unserer Probleme sei, ist die Erleichterung riesig. Zwar ist sein Veloshop eine halbe Stunde Zugsfahrt und 10 Minuten Fussmarsch vom Stadtzentrum entfernt, doch gerne tragen wir unter erstaunten Blicken der Einheimischen unsere Hinterräder durch die ganze Stadt. Auf den ersten Blick wirkt alles perfekt: Akmal hat professionelle Tools, kann Speichen zuschneiden und behauptet, er sei der einzige in Malaysia, der ernsthaft Räder einspeichen kann. Heureka, wir sind am richtigen Ort!

Als Akmal sich auf unsere Nachfragen plötzlich nicht mehr meldet, uns nicht wie versprochen auf dem Laufenden hält und wir langsam, aber sicher genug vom Sightseeing haben, machen wir Druck. Wer Zeit hat, alle paar Stunden Kommentare und Bilder auf Facebook zu posten, sollte in drei Tagen auch zwei Räder neu einspeichen können. In der Nacht vor unserer Abfahrt kommt Akmal um halb drei Uhr morgens mit dem Auto eines Kollegen angefahren, drückt Christian unsere beiden Räder in die Hand, kassiert seine 120 Franken und braust wieder von dannen. Leider bemerken wirs erst Minuten später: Der selbsternannte Radbauprofi von Malaysia hat unsere Räder komplett verkehrt eingespeicht. In diesem Moment reisst „Päng!“ in unserem Hotelzimmer ausnahmsweise mal etwas ganz anderes: Der Geduldsfaden!

9 Kommentare

  • Eric

    Oh nein… Sobald eine Speiche nicht mehr fest angespannt ist, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie bricht. Also ein Teufelkreis sobald eine Speiche bricht, da der Rad nicht mehr so symmetrisch ist. Sicher nichts neues für euch nach 14’000 km… ich wünsche euch viel Erfolg, und alle Speiche schön spannen! ihr findet bestimmt eine Lösung.
    Liebe Grüsse

    • Yvonne

      Genau! Wenn eine bricht, dann fallen (wahrscheinlich) alle. Doch Speichen reissen eigentlich immer am Ende, nie in der Mitte. Ausser unsere! 🙂 Rätsel, Rätsel…

  • Daniel Wulle

    So Räder mit funktionierenden Speichen sind schon spannend… Aber wenn sie nicht funktionieren: was passiert, wenn’s passiert? Ende Velorreise oder Variantenreichtum à la C&Y und die Kunst der Gelassenheit… Päng!

  • 2Roadies

    Halleluja!!

    Sobald man sich auf wen verlaesst, ist man verlassen.
    Es leben Hoch die Trottelmechaniker auf dieser Welt. Hurra!

    glg aus Indonesien
    max und heidi

    PS: Hatte uebrigens gestern auch einen Speichenbruch (hoffentlich der Einzige)

    • Yvonne

      Nei!?! Wars der nette Herr in Bangkok? Oder ist Kuala Lumpur Schuld? Wir hätten sonst noch eine Empfehlung für Singapur – ist ja gleich ums Eck 😉

  • Petra

    Ui nein, das ist ja der Horror! Und dieser spannende Cliffhanger wieder ;-)))
    Aber vor allem bin ich jetzt gespannt, wo in Europa ihr am Montag auftauchen werdet!!!!

  • Angelika

    oh man so ein Pech aber auch, drücke euch die Daumen. Eine Deutsche, die in Spanien lebt und eure Reise von Anfang an mit verfolgt hat.

    Beste Grüße

  • irgendlink

    Das Schlimme ist ja nicht die kaputte Speiche, sondern die immer größer werdende Angst vor dem nächsten Päng! Ich denke, das Casting für eine Neuauflage von Lohn der Angst hättet Ihr bestanden.

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