Verloren, zerstört, gestohlen… versenkt!
Alles begann ganz harmlos. Erst waren es ein paar Löcher in den Handschuhen aus feinster Merinowolle in Scuol. Dann der spurlos verschwundene Hering in Kroatiens Sturmböe. Dann die gebrochenen Zeltstangen in Griechenland. Dann das streikende Objektiv in Turkmenistan. Soweit noch alles unter Kontrolle.
Die eigentliche Zerstörungswelle begann erst in China. Das heisst: Eigentlich fand sie ihren Anfang auf 4000 Metern Höhe in Tadschikistan. Der Wind weht so stark, dass Christians parkiertes Velo umfällt, genau auf den am Lenker hängenden Helm. Das Zersplittern in tausend Styropor-Teile klingt lustig – doch ist der Helm fortan nur mehr als Kopfschmuck zu gebrauchen. Und wir wissen noch nicht: Die Material-Zerstörungswut ging erst gerade los.
Im Osttibet verschwindet der teure Velohandschuh spurlos. Nach dem Objektiv verabschiedet sich nun auch die Olekularmuschel der Kamera. Das Rücklicht fällt ab. Der Speicherstick streikt. Die Stirnlampe setzen wir erst unter Wasser, dann wird sie unter der Wärmelampe abgefackelt. Und in einer spektakulären Aktion entledigen wir uns auch noch eines Bremshebels. Doch nicht nur das eigene Material gerät in den Fokus unserer zerstörerischen Kraft. In Hotels fallen Duschbrausen auseinander, geben Glühbirnen den Geist auf – wo wir hinkommen, herrscht Verwüstung!
In Malaysia verlieren wir im Tagestakt Speichen. Als wir das Übel in einem Video dokumentieren wollen, lassen wir gleich auch noch unsere Kleinbildkamera zu Boden fallen. Minus eine Kamera.
In Neuseeland fokussieren wir uns vor allem auf das Outdoormaterial. Bei einem besonders hart zu knackenden Boden spickt der Kopf des Herings weg. Die Naht am Zeltreissverschluss reisst auf, und künftig sorgt ein Klebband dafür, dass Mücken und andere Stechbiester draussen bleiben. Die Daunenmatte speit beim Abblasen jeweils tausend Federn in die Luft. Unsere T-Shirts aus Merinowolle haben von der Sonne und vom Schweiss Löcher, die sich nicht mehr stopfen lassen. In der Jugi klaut man uns die Trinkbecher und das Sackmesser. Langsam kommen Clochard-Gefühle auf.
Es ist nicht der eigentliche Verlust, der uns an den Nerven zerrt. Es ist der zermürbende Zerfall des Materials und das stete Organisieren von Ersatz, das uns zunehmend frustriert. Und die eigene Dummheit. Denn just als wir denken, dass es langsam nichts mehr zu verlieren und zerstören gibt, stoppen wir mitten auf einer Brücke für ein Foto. Mit Schwung nehme ich die Kamera hervor, den Objektivdeckel ab, und – oh Schock… er spickt aus der Hand und versinkt lustig flatternd im reissenden Fluss.
Es ist manchmal ein Segen, dass man nicht weiss, was die Zukunft bringt. Wer weiss, ob wir weitergefahren wären, hätten wir schon damals gewusst: In Italien wird uns auch noch ein Velo geklaut.
2 Kommentare
irgendlink
Das wirft natürlich ein ganz anderes Bild auf Eure Geschichte. 🙂 Fast wie ein Wirbelsturm, der eine Schneise rund um die Welt schlägt. Der Veloklau gegen Ende ist allerdings besonders bitter. Herzliche Grüße. Jürgen
fred kemper
Hallo Yvonne und Christian,
ich habe mit viel Vergnügen ihre Reisegeschichten gelesen.
Wir haben uns begegnet in Albaniën unterwegs, jeder verschiedene Richtungen.
Ich ging nach Holland, aber wollte eigentlich mit dir beiden gehen 🙂
Ich denke sie haben die Zeit ihres (bis jetztes) Lebens gehabt. Kann mann sich vorstellen was noch kommt!!
Alles gute und viel kilometers wünscht.
Fred Kemper