Zurück in Europa

Der schamlose Veloklau

Lest ihr eigentlich noch mit? Nicht? Das dachten wir uns. Ihr habt uns aufgegeben. Abgeschrieben. Als bloggende Radler, versteht sich. Jetzt, wo uns keine Riesenkobras mehr verschlingen, ist der Spannungsfaktor um einiges reduziert. Das verstehen wir.

Obwohl: Es ist uns nun schon einige Male zu Ohren gekommen, dass da draussen noch einige sind, die mit Wonne auf Fortsetzung warten. Das motiviert uns natürlich. Denn noch ist diese Geschichte nicht zu Ende erzählt.

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Wir sind in Florenz. Also, eigentlich sind wir noch nicht ganz in Florenz. Denn als wir unsere Räder über den Platz vor dem Dom rollen lassen, macht es in Christians Hinterrad zum sechsten Mal auf dieser Reise „pfffft“. Weg ist die Luft. Und da wir nach so vielen tausend Kilometern schlicht und einfach zu faul sind, um inmitten der Touristenströme das Werkzeug auszupacken und uns dabei einmal mehr von Chinesen fotografieren zu lassen, schieben wir das Fahrgestell die restlichen Meter bis ins Hotel übers Kopfsteinpflaster. Ist jetzt auch egal.

Und dann kommt der grosse Moment. Wir klingeln an der Haustüre ihres Bed & Breakfasts und halten kurz darauf Daniela und Karin in den Armen. Wie haben wir uns gefreut! Gleichzeitig klingt aber auch eine traurige Saite in unseren Herzen an. Denn mit diesem letzten Besuch aus der Schweiz ist es langsam nur noch schwer zu leugnen: Unsere grosse Reise nähert sich dramatisch schnell dem Ende.

Vieles haben wir uns zu erzählen. Und die Wiedersehensfreude überdeckt unseren Schock ob den Menschenmassen, die sich hier an Ostern über die Stadt ergiessen. Wir beschliessen deshalb, Florenz am nächsten Tag auf nun vier Rädern in Richtung Lucca zu verlassen.

Firenze 1

Die Umstellung vom Zweier- auf den Viererkonvoi bereitet mir zunächst einige Probleme. Plötzlich wird die Routenwahl zum demokratischen Ereignis (zum Glück ohne Referendum und Initiativen), zu viert ist es gleichzeitig aber auch viel lustiger. Unsere relaxte Reiseweise irritiert zunächst unsere beiden neuen Mitradlerinnen. Zu jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit schlagen wir ein Päuschen vor. Dabei hatten sich Daniela und Karin innerlich auf Kampf eingestellt. Dachten, sie müssten sich die Beine in den Bauch strampeln, um uns ab und zu überhaupt noch von hinten zu sehen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir Weltradler sind auf gemütlich getrimmt. Während wir wie kleine Kinder jedem Kaffee, jeder Snackbude enttäuscht nachschauen, sind die beiden Damen jeweils schon weit vor uns. Hallo, bitte warten! So schnell wollen wir nicht zurück!

Am Abend des ersten gemeinsamen Radeltages finden wir im Herzen von Lucca ein hübsches Hotel. Einziger Wermutstropfen: Wegen der frisch renovierten Lobby will der Besitzer, dass wir unsere Velos bis am Abend draussen anbinden. Christian beschleicht schon da ein ungutes Gefühl. Hätte er doch nur etwas gesagt…

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Diesen Moment werden wir wohl nie vergessen. Als wir gutgelaunt vom Abendessen zurückkommen und nichtsahnend in unsere Gasse biegen, erstarrt Christian zur Salzsäule. Eins, zwei, drei… Wir folgen seinem entsetzten Blick und augenblicklich gefriert auch uns das Blut in den Adern: Es stehen nur noch drei Fahrräder vor dem Hotel. Um Himmels Willen! Es ist mir, wie wenn die ganze Welt in ein Loch verschwinden würde. Mehr als ein Jahr lang war es die Horrorvorstellung, dass eines unserer Räder wegkommt. Und nun ist es passiert. Das Herz rutscht in die Hose, mir wird schlecht. Denn nicht wir sind die Opfer, viel schlimmer: Karins Velo ist spurlos verschwunden!

Wir sind dermassen geschockt, dass wir kaum sprechen können. Just in diesem Moment biegt ein Polizeiauto in unsere Gasse ein. Wir stoppen die Herren und erzählen, was uns gerade widerfahren ist. Sofort erwacht der italienische Staatsapparat, kurz kommt Hektik auf. Der Rezeptionist wird interviewt. Namen, Nummern und Daten werden aufgenommen. Ja, man werde nun gleich eine Runde drehen und nach dem gestohlenen Fahrzeug fahnden. Der kurze Hoffnungsschimmer, der aufflackert, verpufft im Nichts. Vermutlich werden die Poliziotti in der Bar ums Eck beim Ramazzotti versumpfen. Man kennt ja Italien.

Am nächsten Morgen stehen wir pünktlich zur Öffnungszeit vor dem Commissariato von Lucca. Doch da ist das Interesse an vier aufgelösten Schweizerbürgern gering. Gelangweilt lässt man uns im Warteraum sitzen, bewirft uns beim polizeilichen Rauchen mit spöttisch-amüsierten Blicken und schiebt uns dann endlich ein Schadensformular zu. Ein zweiter aufgelöster Zeitgenosse folgt. Ein Italiener. Auch ihm wurde diese Nacht ein teures Velo geklaut.

Und was jetzt? Sollen wir alles abbrechen und gemeinsam mit dem Zug in die Schweiz fahren? Christian und ich haben absolut keine Lust mehr, unsere Reise fortzusetzen. Es erscheint uns völlig sinnlos. Zum guten Glück können uns Daniela und Karin vom Gegenteil überzeugen. Überhaupt reagieren die beiden mit absolut bewundernswerter Besonnenheit. Und wer die beiden kennt, weiss, dass sie so schnell nicht aufgeben. Vier Personen und nur drei Räder – was tut der geneigte Pfadfinder?

Genau. Er kauft sich eines dazu.

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Da stehen sie, mit dem neuen, heissen Schlitten

Wir machen nun also Bekanntschaft mit der Velohändlerszene von Lucca. Viel brauchbares ist allerdings nicht da. Zuerst will man uns ein gebrauchtes Touristenvelo andrehen: Ein Klappermodell mit Körbchen, mit dem die Japaner ihre Runden drehten. Kommt überhaupt nicht in Frage! Beim dritten Velohändler will es dann klappen. Kein Modell, mit dem es den Giro d’Italia zu gewinnen gäbe, klar, doch ein anständiges Billigvelo mit zwei Rädern, einem Sattel und einer lauten Klingel. Was will man mehr? Flugs werden Karins Vordertaschen auf unsere Gepäckträger verteilt. Und haben wir wenige Stunden zuvor noch daran gedacht, unsere Reise vorzeitig zu beenden, sind wir Momente später wieder on the road. Vier Schweizer, vier Räder. Auf in den Norden!

8 Kommentare

  • irgendlink

    Endlich ist die Katze aus dem Sack. Was habe ich mir in den letzten Monaten den Kopf zerbrochen, wie das wohl mit dem Radelklau war und welches unter welchen Umständen abhanden kam … das Gefühl ist schrecklich, wenn etwas fehlt, was angeschlossen war. Bei einer Wanderung kürzlich war morgens mein Rucksack weg, der vor dem Zelt lag. Herz in Tasche! Aber wir hatten Glück: ein Tier hatte das ca. 10 kg schwere Teil weggeschleppt. Bisschen ramponiert lag es dreißig Meter vom Lager entfernt. Puuuuh.
    Und nun bin ich gespannt auf Eure letzten Etappen.Gut, dass die Beiden Euch zum Weiterradeln ermuntert haben.

  • emma

    Und in der Badewanne. Unter akuter Smartphoneversenkungsgefahr.
    Bitte weiterschreiben. Man gönnt sich ja sonst nix 🙂 Ihr könnt die Daheimgebliebenenbespassung nicht einfach so ausknipsen. Das führt zu heftigen Entzugserscheinungen!

  • Anja und Peter

    Hallo Ihr Beiden,
    auch wir schauen noch ab und zu bei Euch vorbei.
    Gott sei dank ist Euren Velos nix passiert.Waren schon gespannt auf den Bericht.
    Wir waren bei unflexiblen Hotelbesitzern immer sehr schnell fertig.
    Räder ins Zimmer oder ausnahmsweise ind die Lobby, oder wir checken in ein anderes Hotel ein.
    Hat immer geklappt.
    Ach, bei uns gehts Morgen nach einem durchgearbeiteten Sommer wieder los, diesmal etwas entspannter….

    jumbo-on-tour.de

    Liebe Grüsse

    Anja und Peter

  • Nik

    Caramba! Ihr seid ja immer noch / wieder unterwegs… da habe ich fast etwas verpasst! Macht Ihr die Runde noch einmal? Ich klinke mich daher subito wieder ein ;-))

  • Annemarie & Ákos

    Liebe Yvonne
    Natürlich lesen wir jedes mal sehr gerne, was Euch «unmögliches» passiert — dabei lieber die begeisterten und begeisternden Berichte als solche frustrierende…
    Auch wir werden zu denjenigen gehören, welche leider «auf Turkey» sind, wenn wir dann nichts mehr von Euch lesen können. Darum danke auch für dieses Mal!
    Immerhin ist für mich der diesbezügliche Frust bereits früher angebrochen, bzw. somit gemildert und sogar in Freude umgewandelt, indem ich Dich wieder gerne am Radio gehört hatte. Ich hatte mich sooooo an Deiner sauberen, klaren, verständlichen Moderation mit Deiner angenehmen Stimme und klaren Aussagen vergnügt 😉 — bitte bleibe dabei (wie auch am Blog).
    Mit lieben Grüssen bis zum nächsten Lesen (und Hören): Ákos

  • Sidi

    Da haben ein paar böse Buben wohl den Film „Ladroni di bicicletti“ szenisch nachgespielt. Hoffentlich kann die ehemalige Besitzerin Mani Matter zitieren mit „d Versicherig hets zahlt, hingägen eis weis i sithär“ si würde ds Velo chlaue sogar wess aapschlosse wär…

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