Albanien legt nach
Eine Woche sind wir nun in Albanien unterwegs, vom Nordwesten bis ganz in den Süden runter. Anders als viele Seidenstrassenreisende, die meist den direkten Weg nach Mazedonien nehmen und damit die wilden griechischen Berge umfahren. Und es lohnt sich! Anfangs wollte es uns Albanien allerdings nicht so einfach machen. Wenig einladend die Gegend im Norden mit ihren grauen Städten und gesichtslosen Fernstrassen. Auch das Wetter will zwei Tage lang nicht so recht mitspielen, obwohl uns ein Albaner aus seinem Lieferwagen ganz stolz zuruft: „In Albanien scheint immer die Sonne!“. Wir lassen deshalb nichts unversucht, um die touristischen Perlen des Landes zu erkunden. Erstmals gelingt uns dies mit einem Abstecher ins Landesinnere nach Berat, der Stadt der tausend Fenster. Ein richtiges Bijou, die Altstadt, die sich beidseits an den Fluss Osum schmiegt. Oben thront die Burg, die eigentlich eine Stadt für sich ist und wo immer noch Leute wohnen.
Unser Abstecher nach Shkodër zwei Tage zuvor brachte wenig Sehenswertes, dafür trafen wir dort den Waliser David, der uns einen Tipp für ein Guesthouse in Berat gab. So hottern wir mit unseren Göppeln über die geschichtsträchtige Steinbrücke, wohlwissend, dass drüben eine herzige Unterkunft in einem der ältesten Häuser der Stadt wartet. Wir werden nicht enttäuscht: Lorenc und seine Mutter begrüssen uns im lauschigen Garten herzlich mit Kaffee, eingelegten Kirschen und einem Gläsli Schnaps. Dazu gibts interessante Geschichten zum Haus und zur Stadt. Wir geniessen die Sonne inmitten der Reben genauso wie Lorencs Kater unsere Streicheleinheiten. Am Abend legt Lorenc noch eins drauf: Nach dem Essen bei einem Glas Wein erzählt er, dass er in seiner Freizeit leidenschaftlich singt. Das lassen wir uns nicht entgehen! Lorenc holt seine CD und wir lauschen den italienischen und griechischen Melodien. Zwischendurch wechseln wir immer wieder mal von der Konserve zum Livekonzert. Spettacoloso!
Zurück zur Küste fahren wir durch Albaniens Ölfelder (die gibts wirklich!) und hoffen auf weitere Perlen. Fier bietet wiederum wenig Erbauliches, wir nehmen einen Cappuccino an der Tankstelle und fahren gestärkt auf die brandneue Autobahn nach Vlorë. Skurril: Top ausgebaut, aber kaum befahren draussen im Niemandsland. Wir fliegen förmlich dahin und sind wenig später in der Stadt, wo ein Designerhotel direkt an der Promenade auf uns wartet. Hier scheint sich die ganze Stadt zu treffen, man flaniert um die Wette und trinkt ein Wasser oder einen Kaffee. Wir mögens handfester und geniessen die letzten Sonnenstrahlen beim Bier.
Tags darauf zündet Albanien den Nachbrenner. Die Küstenstrecke nach Vlorë erinnert mit ihren türkisblauen Buchten an Kroatien, netterweise mit fast keinem Verkehr. Und mittlerweile sind wir schon 2000 Kilometer unterwegs! Immer und immer wieder erspähen wir einige der unzähligen Pilzbunker, die in den 1970er-und 1980er-Jahren quer durchs Land gebaut wurden – rund 750’000 sollen es sein! Eine grandiose Ressourcenverschwendung in einem Land, das damals sicherlich Sinnvolleres zu bauen gehabt hätte… Wir biegen von der Küste ab, es folgt der Aufstieg zum Llogarapass. Zuerst noch sanft, geht es immer steiler den Berg hoch bis auf gut 1000 Meter. Ein junger Mann im knallengen rosa Renndress schliesst auf und begleitet uns ein Stück. Wie sich herausstellt, ist er im albanischen Nationalteam und fährt diese Strecke zwei Mal pro Woche. Wir wussten ja nicht mal, dass Albanien eine Velo-Equipe hat! Das Gespräch beim Aufstieg bietet viele Einblicke ins hiesige Leben. Ausserdem kommen mir fast die Tränen ob seines 7,2kg-Karbon-Renners – mein Gefährt ist gut und gerne siebenmal schwerer. Oben am Pass haben wir einen herrlichen Ausblick, bevor es die steilen Kehren hinunter nach Dhërmi geht. Wir verpassen erst den Abzweiger zur Beach, unten treffen wir dann wie abgemacht Thomas, Benjamin und Florian, die eine Rundtour Kosovo-Mazedonien-Albanien machen. Mit ihnen lassen wir die Beine baumeln und geniessen sonnige Stunden am Strand, Kletterfelsen oder in der Lounge unseres netten Beachresorts.
Derart gestärkt und mit gelockerten Muskeln machen wir uns an eine weitere Etappe, die die bisher happigste werden soll. Geplant ist die Fahrt bis Sarandë, wo wir die Fähre nach Korfu nehmen wollen. Knappe 80 Kilometer, jedoch mit einem steten Auf und Ab entlang der kurvigen Küste. Das Thermometer klettert unerbittlich auf weit über 30° und unser Ziel will nicht näher rücken. Yvonne bekommt die Hitze nicht, mangels vernünftiger Optionen wollen wir dennoch bis in die Stadt kommen. Erst als wir am frühen Abend von der Küste abbiegen, wird es etwas kühler. Auch die Landschaft ändert: Eine fruchtbare Ebene tut sich auf und mir kommt unweigerlich eine Zeile von Züri West in den Sinn:
Vor mir am Horizont gseht me em Jurasüdfuess sini grüene Socke
rächts am Biudrand – chliini Dörfli i de Hügle – luter Hüsli wit u breit –
wie Pfäfferchörner über nes gigantischs Rüehrei gschtröit.
Erschöpft und mit fast 1600 Höhenmetern in den Beinen treffen wir in Sarandë ein, unserer letzten albanischen Stadt auf dieser Reise. Sie ist das Zentrum des albanischen Inlandtourismus und schon jetzt ist einiges los. Freiluftkaraoke, Discos und Strandrestaurants säumen den Strand. Adieu und danke, Albanien!
2 Kommentare
Daniel Wulle
Ihr sind unglaublich – bereits 2’000 km in die Pedalen getreten. SPITZE! Danke für den albanischen Bericht und schöne griechische Zeiten… Sonnige Mai-Grüsse aus der Schweiz… Dani & Co.
Peter Grupp
Hallo ihr beiden!
Nun seid ihr schon einen Monat furt – unglaublich! Und 2000 weit – noch unglaublicher!!! Ganz spannend eure Berichte und toll die Fotos. Vielen Dank dafür. Konnte mich gar nicht lösen und ins Bett gehen. Aber heute war ja 1. Mai und folglich frei 🙂
LG und weiterhin all the best – Peter