Und es ward Stille

Unsere letzten chinesischen Yuan wechseln wir kurz vor der Grenze in laotische Kip und haben danach Faktor 1300 an Geld in der Tasche. Mit einem finalen chinesischen Schlemmermahl in den Bäuchen fahren wir an die Grenze, hoch über unseren Köpfen gondeln gemütlich ein paar dicke, schwarze Cumuli. Als wir unsere Velos am Grenzposten abstellen und es wie auf Knopfdruck herunterleert, sind wir dann aber doch etwas überrascht. Schnell flüchten wir ins Innere, erledigen innert Minuten die Ausreiseformalitäten und stehen dann mit allerlei Chinesen und Laoten unter dem Glasdach und warten, bis das Gewitter weiterzieht. Nachdem der Regen von „In-Sekunden-bis-auf-die-Unterhosen-nass“ in „Fieser-Sprüh-Niesel“ gewechselt hat, zaubern wir unsere Regenjacken aus der Tasche und fahren durch ein pompöses Tor hinein ins laotische Reich. Und eines fällt uns nach der Grenze sofort auf:

Es herrscht Stille.

Leise quakt der Frosch. Dezent raschelt die Palme. Fröhlich piept der Vogel. Doch ansonsten ist tiefe Stille. Der Bergbach gurgelt in Laos noch unverschmutzt und der Urwald ist unberührt. Beschwingt nehmen wir die perfekt geteerte Strasse unter die Räder, winken den Kindern am Strassenrand zu, freuen uns über das herzliche Lachen der Einheimischen und die komplett hupfrei vorbeifahrenden Autos. Dass es sowas gibt! Doch abrupt werden wir aus der Idylle gerissen. *HUUUUUUUUUUUUUP!*. Och nein, was ist denn das? Natürlich, ein chinesischer Reisecar!

Unsere erste Übernachtung in Laos kommt uns himmlisch unkompliziert vor. In einem kleinen Dorf finden wir eine motelähnliche Anlage, die Frage auf Englisch nach dem Preis wird problemlos verstanden und hier braucht man auch keine Angst mehr zu haben, als Ausländer abgewiesen zu werden. Sogar im Dorflädeli kann die Frau den Preis auf Englisch sagen. Wow! Noch verblüffter sind wir ob der Strassenqualität. Seit unserem letzten Besuch vor drei Jahren ist offenbar einiges gegangen. Aus der Rumpelpiste mit langen Schotterabschnitten ist eine perfekt asphaltierte Strasse geworden, freundlich gesponsert von den Chinesen. Dass der grosse Nachbar dahinter steckt, ist unverkennbar: Die gleich blöden Rüttelstreifen (so heissen die wirklich!) am Boden, die der gemeine Truck- und Autofahrer nicht ansatzweise wahrnimmt, aber dafür den armen Velofahrer durchrütteln – und der Gipfel: An besonders unübersichtlichen Ränken prangen Hupschilder. Heisst so viel wie: Hier bitte hupen. Chinesischer Kulturimperialismus pur!

Die einfachen Bambushütten kommen uns weniger bambushüttig vor als damals, die dünne Infrastruktur bezüglich Snacks und Mittagessen bemerken wir dank der guten Strasse nicht: Wir rauschen nur so dahin. Brandneu eröffnete Tankstellen glänzen um die Wette und in einem Dorf werden wir Zeugen des ersten soeben aufgestellten Geldautomaten. Wir denken: Hey, in Laos, da geht was!

Haha. Als wir am nächsten Morgen in Oudomxai losfahren, ist von der perfekten Strasse nichts mehr zu sehen. Der Asphalt ist von Löchern übersät und in der ersten Kurve treffen wir bereits wieder auf Schotter. Der chinesische Kulturimperialismus hat offenbar lieber die Durchgangsstrasse nach Thailand als die Strasse in die laotische Hauptstadt geteert. Bringt mehr ein. Wie anno dazumal geht es nun endlose Kurven steil und schottrig den Berg hinauf. Denn, bewahre, der Laote baut eines ganz sicher nicht: Tunnels. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1500 Dollar (Schweiz: > 80’000 Dollar) liegen die Prioritäten verständlicherweise an einem anderen Ort. Trotz üblen Strassenverhältnissen und mehr als 1400 zu bewältigenden Höhenmetern sind wir guten Mutes: Letztes Mal sind wir in diese Etappe wegen Wartens auf einen Velomech, der einen Speichenbruch reparieren kann, erst um 11.30 Uhr gestartet und am Zielort mit unzureichender Stirnlampe in tiefer Dunkelheit angekommen. Diesmal, schwören wir uns, soll es anders werden! Wir starten um acht Uhr und wähnen uns auf der sicheren Seite. Es geht zwar 40 Kilometer quasi nur den Berg hinauf und heiss ist es auch, aber wir machen trotzdem hier und da ein Foto, immer mal wieder eine Rast und kehren sogar in einer kleinen Beiz ein. Auch hier ist alles beim alten: Ein paar Brocken Klebreis, ein gebratenes Ei und eine versalzene Nudelsuppe (pardon, „Fö“) – Laos ist noch immer kein kulinarisches Paradies. Als wir den vermeintlichen Gipfel erreichen und es doch hinter jeder Kurve noch weiter hinaufgeht, sind wir langsam ein bisschen irritiert. Es folgt Hügelkette um Hügelkette, Dorf um Dorf, und keine Abfahrt ist in Sicht. Bereits bricht die Dämmerung ein, während in den Hütten unter leisem, geheimnisvollem Glockengeklingel das Suppenhuhn geschlachtet wird.

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We love Schotter! Dieser da ist allerdings noch harmlos

Als dann endlich die ersehnte Abfahrt auftaucht, können wir nicht wirklich aufatmen. Noch knapp zwanzig Kilometer sind zu bewältigen und wegen den vielen Schotterabschnitten kann man es nie rollen lassen. Langsam wird es dunkel und unser Ziel ist immer noch nicht in Reichweite. Konsterniert montieren wir die Stirnlampen und fahren ein zweites Mal in unserem Leben in Dunkelheit in Pak Mong ein. Zwar gibt es jetzt ein viel schöneres Hotel und gar ein Strassenrestaurant mit englischer Karte (heyhey!), doch Pak Mong haben wir immer noch nie bei Tageslicht gesehen. Grrrrrrrrr!

Die Strecke von Pak Mong nach Luang Prabang ist ein einziges Auf und Ab. Wir fahren dem idyllischen Fluss Nam Ou entlang und wundern uns wie eh und je über das Mysterium, dass laotische Kinder Ausländer schon von weitem förmlich riechen können. Während chinesische Kinder mit sich selbst viel zu beschäftigt waren, können wir hier noch so still und unauffällig in ein Dorf rollen, es stehen garantiert schon zig Kinder am Strassenrand und rufen enthusiastisch „Sabaideeee, Sabaideee“! He ja, fährt einmal so ein Fremder vorbei, will man den auch ausgiebig geniessen! Wir hingegen sichten in Minibussen, auf Töffs und sogar auf Velos zunehmend weisse Haut. In Luang Prabang wird es dann so richtig arg: So viele westliche Menschen auf einen Haufen haben wir zuletzt im usbekischen Bukhara gesehen. Am Anfang geht es mir wie den Chinesen: Ich muss sie alle anstarren! 😉

Irgendwann gewöhnen wir uns an die weissen Bierbäuche und die Touristenmassen und freuen uns, bei einem feinen indischen Essen die beiden Schweizer Tandemradler Alena & Marcel sowie einmal mehr Heidi & Markus aus Österreich zu treffen. Mit dem Gründer von Big Brother Mouse und einem seiner laotischen Mitarbeiter, der zum ersten Mal auf ein Mountainbike sitzt, unternehmen wir zudem einen Ausflug an die bekannten Tad-Sae-Wasserfälle, wo wir uns dank unserer lokalen Begleitung gar trauen, mitten im Urwald zu baden. Grossartig!

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Dabei nutzen wir die Gelegenheit, aus erster Hand mehr über Laos zu erfahren. Zum Beispiel wundern wir uns, weshalb in Luang Prabang auch heute noch Strassen oder öffentliche Gebäude auf Französisch angeschrieben sind? Sasha von Big Brother Mouse lacht nur gequält: Die Ex-Kolonialmacht lasse zugunsten der Regierung ein ansehnliches Sümmchen springen, damit laotische Schüler Französisch lernen, erzählt er. Was es ihnen bringt? Nichts. Hauptsache ein bisschen französischer Kulturimperialismus für eine gesunde französische Nationalpsyche! Ebenfalls kommen wir auf den vermissten laotischen Bürgerrechtler Sombath Somphone zu sprechen, der vor einem Jahr unter mysteriösen Umständen von der Bildfläche verschwand… Ja, dass die kommunistische Volksrepublik Laos keine Demokratie mit Meinungsfreiheit & Co. ist, musste auch die Schweizer Leiterin des Helvetas-Büros in Laos bemerken. Sie wurde wegen angeblich regierungskritischen Äusserungen kurzum des Landes verwiesen und so wundert es auch nicht, dass Big Brother Mouse jedes seiner harmlosen Kinderbücher den Behörden vor der Publikation zur Genehmigung vorlegen muss.

Ein weitaus schockierenderes Kapitel des Landes erschliesst sich jedoch bei einem Besuch im UXO (Blindgänger) Museum. Dass Laos das meistbombardierte Land der Welt sein soll, erfüllt uns zuerst mit Verwunderung. Doch die Zahlen sind erdrückend. Zwischen 1964 und 1973 wurden über 2 Millionen Tonnen Bomben auf Laos abgeworfen. Einige behaupten sogar, über Laos seien mehr Sprengköper gefallen als auf Deutschland und Japan während des gesamten Zweiten Weltkriegs. Ungefähr ein Drittel des tödlichen Materials, geschätzte 80 Millionen Blindgänger, ist dabei nicht explodiert und „verseucht“ auch heute noch ein Viertel der laotischen Dörfer. Wer hat das getan? Und weshalb? Was damals nicht einmal der amerikanische Senat wusste, ist auch heute noch den wenigsten bekannt: Amerikas geheimer Krieg in Laos mit bis zu zwei Millionen Opfern steht in keinem Geschichtsbuch. Der ARTE-Film zu diesem Geheimkrieg der CIA hat uns nachhaltig erschüttert. Was hier im Namen der Demokratie geschehen ist, lässt einem mit Grauen zurück. Und bis heute hat die USA keinerlei Wiedergutmachung an die Zivilbevölkerung geleistet.

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Nach eindrücklichen, aber auch erholsamen Tagen in Luang Prabang brechen wir auf nach Thailand. Damit wir dieselbe Schotterstrecke nicht nochmals zurückfahren müssen, entscheiden wir uns für eine zweitägige Bootsfahrt auf dem Mekong. Die Anlegestelle ist viele Kilometer ausserhalb der Stadt und natürlich nur auf Laotisch angeschrieben. Alle anderen nehmen ja auch ein Taxi. Als wir den Ort eine Viertelstunde vor Abfahrt immer noch nicht gefunden haben, werden wir langsam nervös. In letzter Minute erreichen wir die Schiffsanlegestelle, stossen unsere Velos über einen Dreckweg die steile Böschung zum Fluss hinunter, und fast hätte eine meiner Vordertaschen im Mekong seine letzte Ruhe gefunden. Die Halterung reisst und das Ding rugelt fröhlich in Richtung Wasser. Mit einem beherzten Hechtsprung kann ich meine Habseligkeiten vor den Fluten retten. Dass wir unsere Taschen und Velos über eine schmale, schlitterige Holzplanke aufs Schiff hieven müssen und die Velos unangebunden auf dem Bootsdach mitgondeln, kann uns danach nicht mehr gross aus der Ruhe bringen.

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Ein paar Mal setzt unser Herzschlag allerdings schon aus, wenn der Bootsfahrer allzu keck durch die Stromschnellen manövriert und sich das Schiffsdach mit unseren Velos gefährlich weit zur Seite neigt. Aber wir sind zufrieden, nicht die umgekehrte Strecke fahren zu müssen. Flussabwärts von Thailand kommend, stapeln sich die Touristen in den Booten mit einer Beinfreiheit in bester Flugzeugmanier, während in unsere Richtung die Kähne fast leer sind. Da wir erst kurz vor Sonnenuntergang im Grenzort Huay Xai ankommen, übernachten wir noch auf der laotischen Seite. Thailand ist nah; man kann es förmlich riechen. Auf der anderen Seite stehen prächtige Tempel und anstatt in löchrigen Bambushütten wohnt man in hübschen Häusern aus Teakholz. Im Fernseher unseres Hostels läuft Thai-TV mit einer Berichterstattung über die politischen Proteste in Bangkok. Der Besitzer dreht sich sichtlich amüsiert zu uns um und meint breit grinsend: „Hähä… Thailänd… Democracy!

1864 Kurven ins Paradies

Zwei Wochen nur dauert unser Kurzbesuch in Laos, die Hälfte davon verbringen wir im gemütlichen Luang Prabang. Umso mehr gelüstet es uns nach zwei Tagen auf dem Boot, wieder mal in die Sättel zu steigen. Früh aus den Federn, Power-Frühstück und schon stehen wir am Ufer des Mekong, bereit für die Überfahrt ins Land des Lächelns. Nur: Die laotischen Grenzbeamten schlafen noch! Zwar warten unten am Fluss schon die Fährboote, aber das kleine Büro, wo wir unseren Ausreisestempel kriegen sollen, ist noch verriegelt. Wir warten also erst mal – nicht umsonst behaupten böse Zungen, Lao PDR (Demokratische Volksrepublik Laos) hiesse nichts anderes als Please Don’t Rush“. Etwas später queren wir den Fluss ziemlich abenteuerlich auf einem schmalen, hölzernen Kahn. Nur zwei Wochen später übrigens wäre es einfacher gegangen, erfahren wir auf dem Boot von einem thailändischen Uniprofessor, der nach drei Jahren China nach Hause reist: Über die neue, gewaltige Brücke, deren Eröffnung wir somit knapp verpasst haben.

Ennet dem Mekong warten Heerscharen von Touristen auf die Überfahrt nach Laos. In der Gegenrichtung sind wir fast die einzigen. Rasch erhalten wir unseren Einreisestempel und schon stehen wir wieder auf der Strasse – ganz am linken Rand natürlich, denn nun herrscht Linksverkehr! Unsere Rückspiegel wandern von links nach rechts, wir hingegen schauen noch tagelang immer erst auf die falsche Seite, nur um dort nicht unseren gewohnten Blick nach hinten werfen zu können.

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Landschaftlich unterscheidet sich die Region kaum von der laotischen Seite, und doch spürt man den enormen Unterschied der beiden Länder sofort. Die Tempel sind zahlreicher, pompöser und farbiger als in Laos. Auch auf dem Land erblicken wir oft prachtvolle Häuser aus Teakholz. Zu Fuss geht kaum jemand, alle sind motorisiert unterwegs, am liebsten in einem Toyota Hilux. In jeder noch so kleinen Stadt gibt es zig Banken und eine Vielzahl an Supermärkten, allen voran die allgegenwärtigen, auf arktische Temperaturen heruntergekühlten 7-Eleven-Filialen. Am Strassenrand wartet alle Kilometer ein hübsches Bushäuschen, das uns viele schöne Pausenmomente beschert und uns in den ersten Tagen bei fiesen Spontanregengüssen Zuflucht bietet. Das Essen ist vielfältiger, die Auswahl grösser und plötzlich treffen wir überall auf herzige Cafés mit frisch gerösteten thailändischen Bohnen. Nach langer Reise durch Schwellen- und Entwicklungsländer hat uns die „Zivilisation“ wieder: Seit der Türkei ist das Reisen nie mehr so komfortabel gewesen.

Unser erstes Ziel in Thailand ist Chiang Rai. Obwohl bereits 1262 gegründet, gibt es hier gibt es ausser einem kitschigen Uhrturm mitten in einer Strassenkreuzung so gut wie nichts zu sehen. Uns macht das herzlich wenig aus, wir richten uns in einem ruhigen Guesthouse gemütlich ein und pendeln zwischen den Strassenmärkten, Tempeln und Cafés hin und her. Und natürlich schauen wir uns abends das Uhrturm-Spektakel an: Zu pompöser Musik und einer grellen Lichtshow erhebt sich im Innern eine Lotusblüte, während rundherum die Motorroller, Autos und Tuk-Tuks vorbeilärmen. Heureka, das hätte Tinguely nicht besser hingekriegt!

Auf dem Weg nach Chiang Mai machen wir erstmals Bekanntschaft mit den nordthailändischen Bergen. Wir sind uns von der Türkei, Zentralasien und China mittlerweile ja einiges gewöhnt, aber wer hätte gedacht, dass uns diese hügelige Region so arg ins Schwitzen bringen würde! Zwar geht es kaum je über 1500 Meter Höhe hinaus, aber die Strassen winden sich in unendlich vielen Kehren auf und ab. Erschöpft erreichen wir abends jeweils schmucke Dörfer: Tha Ton mit seiner weitläufigen Klosteranlage hoch über der Ortschaft, von wo man einen herrlichen Ausblick über das breite Tal mit dem Mae-Kok-Fluss hat. Chiang Dao am Fusse des dritthöchsten thailändischen Berges, wo wir weit ausserhalb des Dorfes ein kleines, einfaches Bambushüttchen finden und gleich ein paar Tage hängenbleiben, Höhlen erkunden und die köstliche thailändische Küche geniessen.

Ein Gedicht: "Stir Fried Tofu In Garlic and Pepper Sauce Served with Pineapple Ring & Cucumber"

Ein Gedicht: „Stir Fried Tofu In Garlic and Pepper Sauce Served with Pineapple Ring & Cucumber“

Wie das Wiedersehen mit einer alten Bekannten fühlt sich die Einfahrt in Chiang Mai an. Lebhafte Märkte in verwinkelten Gassen sowie lauten Verkehr treffen wir schon ausserhalb der historischen Mauern an. Der Nachtmarkt ist inzwischen zwar eine veritable Touristenfalle ohne jeglichen Charme geworden, dafür geht es im Altstadtbezirk so gemütlich wie eh und je zu und her. Hinter jeder Ecke versteckt sich ein bunt schillernder Tempel, in lauschigen Gärten lässt es sich unter einem Blätterdach gediegen für fast kein Geld speisen und am Abend verwandelt sich so manche Strasse in einen regsamen Markt, auf dem allerhand Krimskrams verkauft wird. Und natürlich das Essen, des Thais liebstes Hobby! Da dieser Tage auch der 86. Geburtstag von König Bhumibol gefeiert wird, ist Chiang Mai festlich geschmückt und Yvonne wird an einer Freiluftausstellung zu Ehren des Königs von einer Handvoll Studentinnen sogar zum Videointerview geladen. Wir wissen nun, dass der König seine Jugend in der Schweiz verbracht hat – wer hätte das gedacht!

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Long live the King!

Nach einer Woche voller kulinarischer Höhepunkte wölben sich unsere Bäuche schon bedrohlich und wir beschliessen, auf dem Weg in den Süden doch noch einen kleinen Umweg zu machen. Auf zum berüchtigten „Mae Hong Son Loop“ im äussersten Nordwesten Thailands! 1864 Kurven sollen es allein auf der Strecke zwischen Chiang Mai und Mae Hong Son sein, wie man auf den stolz getragenen Erinnerungs-Shirts der thailändischen Touristen lesen kann. Für einige soll ja schon die kurvige Fahrt im Minibus eine Herausforderung sein! Wir bringen es mit unserem Slalomkurs bei extremsten Steigungen auf ein Vielfaches der 1864 Kehren und legen zwischendurch sogar eine spontane Zeltnacht ein, weil wir die heftigen Anstiege unterschätzt haben. Da schätzen wir es, dass die Feuerwehrleute mitten im Urwald einen Stützpunkt an bester Lage mit toller Aussicht eingerichtet haben. Unser Zelt dürfen wir mitten in einer Haarnadelkurve auf einem piekfein gemähten Rasen aufstellen und schon bald löffeln wir ein wahrlich internationales Menu: Pasta aus Tadschikistan, dazu eine Pilzcrèmesuppe aus der Türkei. Was man in so einer Radlertasche nicht alles findet!

Seit langem sind wir erstmals ohne unmittelbare Visumssorgen unterwegs und haben keine Deadline im Nacken. Wir teilen darum unsere Rundfahrt auf und verbringen zwischendurch einige Tage in einem wahren Paradies: Willkommen im Waldkloster Tam Wua!

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Ziemlich abgekämpft nach einem langen Tag und einem neuen Höhenmeterrekord von über 1700 Metern biegen wir am späten Nachmittag in ein schmales Strässchen ein und finden uns bald in einer stimmungsvollen Lichtung mit gepflegtem Rasen wieder. Leise gluckert der Bach, im Fischweiher tanzen die Wasserspinnen im Abendlicht und in der Ferne zwitschern die Vögel von den bewaldeten Karstfelsen herunter. In den nächsten Tagen werden wir das eingespielte Radlerdasein aufgeben und uns einem anderen, nicht minder herausfordernden Tagesablauf unterwerfen: Wir erhalten Einblick ins Leben eines thailändischen Waldklosters und lernen dabei Vipassana-Meditation. Ein Abenteuer der ganz anderen Art! Als erstes tauschen wir unsere farbigen Veloleibchen gegen die für Novizen üblichen weissen Kleider ein und werden danach in unsere jeweiligen Kämmerchen gewiesen. Nach einer kurzen Einweisung ins Klosterleben sinken wir früh ins Bett auf die Matte, denn am Morgen geht es zeitig los!

Schnell gewöhnen wir uns an die neue Routine und widmen uns so ganz anderen Dingen, als wir es uns aus unserem Veloalltag gewohnt sind. Dank der magischen Lage in totaler Abgeschiedenheit und den hilfreichen Instruktionen des lehrenden Mönchs gelingt es auch einem Debütanten wir mir, schon bald die alltäglichen Ablenkungen hinter sich zu lassen und sich ganz der Übung von Achtsamkeit hinzugeben. Auch das vierzigminütige Sitzen im Schneidersitz gelingt ganz passabel. Dafür sind die Essenszeiten für den auf maximale Kalorienzufuhr getrimmten Radlermagen eine Herausforderung: Nach 12 Uhr mittags wird bis zum nächsten Morgen keine feste Nahrung mehr aufgenommen. Entsprechend gross ist der Ansturm auf den im Speisesaal angebotenen Tee, Kaffee und die Ovomaltine – die Zuckerdose auf der Theke ist regelmässig leergeräumt.

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Der Tagesablauf im Waldkloster Tam Wua: Auch beim nachmittäglichen Laubwischen sind wir mindful

Dreimal täglich meditieren wir in der Gruppe, dazwischen bleibt genügend Zeit, um sich an der Schönheit der Klosteranlage inmitten der pittoresken Karstfelsen zu erfreuen. Sei es bei einem Spaziergang zur Meditationshöhle am Fuss der Berge oder um den Lotusteich – die Zeit scheint hier langsamer zu gehen. Die stetige Beschäftigung mit irrelevanten Neuigkeiten und das Nachdenken über banale Alltäglichkeiten treten zusehends in den Hintergrund. Zeit und Raum für die Gelegenheit, über die grossen Lebensfragen zu sinnieren – vielleicht sogar mit einem Besen in der Hand beim Laubwischen. Vor den beiden Mahlzeiten des Tages dürfen wir den Mönchen das Essen darreichen, bevor wir selber beim hervorragenden vegetarischen Buffet zugreifen. Auch wenn der Abt mit seinen Anekdoten dabei manchmal etwas abschweift und zu keinem Punkt kommt – recht hat er mit seinem oft wiederholten Spruch: „Meditation Vipassana, happyyy happyyyyyy!“

Happy verlassen wir nach einigen Tagen dieses Kleinod, denn zwischen hier und dem äussersten südlichen Ende des Landes liegen ja noch einige Kilometer. Eine kurze Etappe bringt uns nach Mae Hong Son, wo wir uns unter die vielen thailändischen Besucher mischen, einen „Kurvenabsolvierer“-Aufkleber erwerben und uns in einer Strassenküche am See wieder an den lärmigen Alltag ausserhalb der Klostermauern gewöhnen. Willkommen zurück im Radlerleben!

Uns laust der Affe!

Die Zeit ist vergangen wie im Flug! Und irgendwie auch nicht. Neun Monate sind wir nun unterwegs und es fühlt sich mittlerweile fast so an, als hätten wir nie etwas anderes getan als auf Rädern durch die Welt zu fahren. Vielleicht fragt ihr euch zwischendurch, wie es den zwei Verrückten auf dem Sattel eigentlich geht? Ob sie sich heimlich ins alte, komfortable Leben zurück wünschen? Das Gefährt am liebsten in ein Ecke schmeissen würden? Auch schon gefragt wurden wir, wie wir uns eigentlich motivieren, jeden Tag aufs Neue weiterzufahren?

Die Antwort lautet: Gar nicht! Wie viel zusätzliche Motivation braucht es noch, wenn einem fast täglich vor Augen geführt wird, was für ein Privileg wir Schweizer haben, die Welt bereisen zu können? Und noch grösser unser persönliches Privileg, sich aus der Tretmühle der Arbeit für eine Zeit lang zu verabschieden? Keine zweiwöchige Ferienreise, gespickt mit möglichst vielen Highlights, sondern Tag für Tag komplett unspektakuläre (aber auch spektakuläre) Landstrassen, ganz normale Menschen, deren Gesicht sich bei unserem Anblick zu einem herzlichen Lachen verzieht – ein fremder Alltag. Und wir schaukeln mal schneller, mal langsamer daran vorbei, während zu Hause die Tastaturen klappern und der Bürotisch unser Fehlen längst vergessen hat. Das muss Freiheit sein!

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Dennoch hat sich etwas verändert. Besonders nach dem anstrengenden China hatten wir den Eindruck, dass unsere Speicher langsam voll werden. So viel gesehen, so viel erlebt – wohin noch mit den neuen Eindrücken? Es kam uns so vor, als könnten wir Neues nicht mehr mit dem gleichen Enthusiasmus geniessen und als hätten die Chinesen etwas von unserem Gleichmut weggehupt. Man ist mit der Welt da draussen weniger geduldig, weniger dickhäutig und man ärgert sich schneller über Dinge, über die man zu Beginn der Reise noch gelacht hätte.

Ein paar Tage Auszeit vom Reisen, vom Internet, vom Handyempfang, von der Welt; zu wohnen in getrennten Kammern und still zu sein hat unglaublich gut getan. Als wir aus unserem kleinen Waldparadies losfahren, fühlt es sich an wie ein brandneuer Start. Frisch im Geist, voll motiviert und um eine unvergleichliche Erfahrung reicher machen wir uns wieder auf den Weg.

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In den folgenden Tagen macht der berüchtigte Mae Hong Son Loop seinem Ruf alle Ehre. Zu steil, zu anstrengend, zu abgelegen ist er für die meisten Tourenradler, die wie wir kiloweise Gepäck im Schlepptau haben. Entsprechend wenige Radfahrer sehen wir unterwegs. Zwei holländische Ferienradler, die über unsere schweren Gänge staunen und sich mit mitleidigen Blicken verabschieden. Ein britischer Tourenradler, der sich das Gepäck per Bus in den jeweils nächsten Ort liefern lässt. Und die beiden deutschen Rennfahrer, die bloss ihr Leichtgewichtsrad und einen kleinen Rucksack dabei haben und uns mit einem netten Schwatz einen schweisstreibenden Aufstieg verkürzen. Denn was wir hier antreffen, lässt jedem Velofahrer das Blut in den Adern gefrieren. Haben wir entsprechende Hinweise im Internet zuvor noch ungläubig bezweifelt, erleben wir es nun an der eigenen Wade: Es ist durchaus möglich, in einer einzigen Kurve 30 Meter an Höhe zu gewinnen. Die spinnen, die Thais!

Nachdem wir Mae Hong Son mit seinem atemberaubenden Blick in die Berge Nordwestthailands und Burmas hinter uns gelassen haben, wird es ruhig an der Touristenfront. Wir teilen uns die Strasse mit vorbeieilenden Eidechsen, aufdringlich fiependen Vögeln, verschnörkelten burmesischen Holztempeln und dem einen oder anderen Wandermönch. Wandermönch? Beim ersten sind wir noch zu überrascht, um zu reagieren, aber beim zweiten lassen wir es uns nicht nehmen, ihm eine kleine Pausen-Sojamilch in die Almosenschale zu legen. Barfuss, gehüllt in eine orange Robe, bepackt mit einigen wenigen Habseligkeiten wandern sie allein durch Nordthailand – heiterefahne, da sind auch wir glatt Salontouristen dagegen.

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Nach unserem 11’000-sten Kilometer geniessen wir in Mae Sariang erstmals wieder die Vorzüge einer touristischen Infrastruktur und nippen beim Sonnenuntergang über Burma an unserem ersten Mai Tai. Ach, wie oft haben wir im kargen Zentralasien von diesem Moment geschwärmt! Wie oft hat einer von uns gesagt: Weisch wie fein wär iz… es Raclette! E Pizza! E Härdöpfustock! E Mai Tai! Und da ist er nun! Das einzige, was unser Glück in diesem Moment überschattet, ist Christians Knie. Ohne Klagen hat er sich in den letzten Tagen durch diese Höhenmeterhölle geplagt, obwohl ich an seinem Zurückfallen bemerkte, wie sehr es wohl schmerzen muss. Da wir über die letzte Etappe des ‚Loops‘ keinerlei Informationen haben und vermuten, dass über 2000 Höhenmeter und 120 Kilometer bevorstehen, beschliessen wir, zugunsten des Knies bis in den nächsten Ort einen Bus zu nehmen.

Beim Bus handelt es sich um eine klapprige Blechkiste, die am nächsten Morgen pünktlich um sieben Uhr auf dem Schotterplatz namens Busbahnhof aufkreuzt. Zusammen mit dem Fahrer hieven wir unsere Gefährte über eine schmale Leiter hinauf aufs Dach – alles wird befestigt und wir sitzen erwartungsfroh mit drei anderen Passagieren im ebenfalls klapprigen Interieur. Plötzlich heisst es: Aussteigen! Wieso, was, warum? Mangels Passagieren hat der Busfahrer kurzum seine Destination geändert. Er fährt jetzt in die entgegengesetzte Richtung, wo Horden von Thais auf eine Fahrgelegenheit warten. So geht das! Also zurück ins Bett – zum Glück liegt der Zimmerschlüssel immer noch unberührt auf der Theke – und eine Stunde später das gleiche Spiel. Diesmal fährt der Bus auch tatsächlich ab und uns wird wind und weh, wenn wir sehen, was wir in einem Tag alles hätten schaffen wollen. Wind und weh wird uns allerdings auch beim Auspacken der Räder. Einmal nicht nachkontrolliert und schon haben wir einen massiven Lackschaden an Christians Velo. Oje…

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Zentral-Thailand wird definitiv unterschätzt. Während sich in der Weihnachtszeit unten im Süden alles um ein Fleckchen Sandstrand prügelt, treffen wir in Thailands Königsstädten auf nur wenig bis gar keinen Massentourismus. Zum Beispiel in Lamphun mit seiner Pagode aus 7 Kilogramm Gold, die pompös im Nachtlicht erstrahlt. Oder in Lampang mit seinen hübschen Stelzenhäusern aus Teakholz, wo wir wie Prinz und Prinzessin für kleines Geld in einer riesigen Kammer mit Himmelbett logieren und uns am Abend durch die Essensstände des Nachtmarkts probieren. Die wenig besuchten Tempelruinen von Si Satchanalai befahren wir gleich mit Vollgepäck, jene von Kamphaeng Phet, die mitten im Dschungel stehen und kurz vor dem Überwachsen sind, lassen wir dann zugunsten eines kalten Feierabendbiers aber sausen. Und natürlich die beiden Touristenklassiker Sukhothai und Ayutthaya, welche auch beim zweiten Besuch noch unbekannte Ecken hergeben. Am lustigsten aber ist Lopburi – die Stadt der Affen – wo wir uns nach langen, anstrengenden Etappen endlich einen Ruhetag gönnen.

Beim ersten morgendlichen Blick aus dem Fenster sitzt eine Affenfamilie auf dem Balkon des Hotels gegenüber und unten auf der Strasse turnen Affen und Äffchen an Telefonsträngen, sitzen auf parkierten Rollern und in fahrenden Trucks, balancieren auf Bahngeleisen und stehlen Essen, Spielzeug, Abfall, Brillen – einfach alles. Aber aufgepasst! Als wir einen davon von nahe fotografieren wollen, springt er ohne Vorwarnung auf Christians Kopf. Oh Schreck! Wir kommen zum Glück ohne Raub davon. Ich stelle mir schon vor, wie Christian ohne Brille blind auf dem Trottoir herumgetastet wäre, während ich den Affen über den Zaun hinweg auf den Tempel gejagt hätte, um sie zurückzuerobern. Seit dem Vorfall mit der verlorenen Brille in einem Walliser Bergbach weiss ich, wovon ich spreche… 😉 Andere Touristen sind weniger vorsichtig und lassen sich Sonnenbrillen, Strohhüte und ganze Einkaufstüten klauen. Was wir Touristen putzig finden, ist für die Einheimischen hingegen eine wahre Plage. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird mitgenommen oder zum Spielen missbraucht. Wer sich wehrt, wird aggressiv angefaucht oder gar attackiert. Da loben wir nun doch wieder den dummen Hund!

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Wer sich in Nord- und Zentral-Thailand über zuviel Verkehr beklagt, hat definitiv die falsche Route gewählt. Seit der Grenze zu Laos nehmen wir immer die kleinstmögliche Strasse. Dies allerdings nicht immer zur Freude aller Teilnehmer dieser kleinen Reisegruppe, da solche Routen oftmals als schmale Betonplattenpisten inmitten der Vorgärten überraschter Thais enden. Dafür ist der Spassfaktor maximal. Während sich Reiseführer wie Lonely Planet & Co. mit Tipps zu „off the beaten track“ und „unbekanntes Thailand“ überschlagen, fahren wir tagtäglich genau da durch, wo man selten bis gar nie einen Tourist sieht – geschweige denn einen auf dem Fahrrad. Wir gondeln vorbei an kleinen Flüsschen, Teakhausdörfern, unbekannten Ruinen, prächtigen Tempeln, grüssen hier, winken da und essen am Strassenrand gebratenen Reis oder Nudeln direkt aus Mamas Wok. Vor Ayutthaya erhalten wir dann allerdings auch auf der Nebenstrasse ungemütliche Konkurrenz: Riesige Lastwagen mit Zuckerrohr dröhnen in beiden Richtungen gefährlich nahe an uns vorbei. Wir taufen die Strecke ‚Zuckerrohrroute‘ und landen am Tag darauf auf der ‚Sonnenblumenroute‘: Abertausende, ja, Millionen der gelben Köpfe treffen wir auf riesigen Feldern bei Lopburi. 200’000 bis 300’000 Hektaren sollen es sein.

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Und was macht eigentlich das Wetter? Ein Jahr lang auf dem Velosattel zu sitzen und Tag für Tag den Launen der Natur ausgesetzt zu sein, heisst zu nehmen, was kommt, ohne zu wissen, was kommt. Kein Thomas Bucheli, der mit spitzbübischem Grinsen auf dem SRF-Wetterdach die Hochs und Tiefs in die Luft malt. Zumindest mit Regen haben wir in den letzten neun Monaten viel Glück gehabt. In Südchina haben wir jeweils fasziniert auf die Wetterkarte geblickt und gesehen, wie man wegen des Taifuns Haiyan in Vietnam, Laos und Thailand während Wochen wohl nur mit Schnorchel und Taucherbrille vorangekommen ist. Bei unserer Einreise nach Thailand kriegen wir zwar noch ein paar letzte Spontanregengüsse ab, doch als es zwei Tage lang wie aus Giesskannen aus dem Himmel schüttet, sitzen wir gemütlich im Holzbungalow und lassen das schlechte Wetter vorbeiziehen. Tage zuvor hatten wir beim Aufstieg noch Sturzbäche geschwitzt, und nun ist das Klima gar ziemlich fröstlig. Will man uns ein Zimmer mit Airconditioning schmackhaft machen, müssen die Hoteliers jeweils selber lachen. Draussen laufen die Thais mit dicken Wollmützen im Pandabär- und Schweinchen-Design herum und sehen aus, als wäre tiefer Winter. Und das ist es ja auch – fast. Wir verlangen oft nach zusätzlichen Wolldecken, da es uns in simplen Leintüchern ziemlich an die Nase friert. Was den Vorteil hat, dass wir am Morgen nie sehr früh starten müssen und tagsüber bei angenehmen Temperaturen fahren können. Etwas, wovon wir schon ziemlich bald träumen werden…

Tour-de-Burma in 20 Minuten

Der Thailänder ist ein festfreudiger Mensch. Egal, wer auf der Welt gerade etwas feiert – Weihnachten, Neujahr, chinesisches Neujahr, indisches Neujahr, islamisches Neujahr, und vermutlich auch orthodoxe Ostern und jüdisches Chanukka – der Thai ist dabei! Denn nichts kommt ihm gelegener als eine Ausrede, seinen Plastikstuhl herauszuräumen, den Billig-Whisky mit Sodawasser auf den Tisch zu stellen, ein paar Satay-Spiesschen auf dem Grill zu braten und die Musik (noch) lauter zu drehen. Als wir vor Weihnachten den ersten Thai mit einer roten Nikolausmütze orten und die Angestellten der Ladenkette Tesco Lotus als Weihnachtsfrauen und -männer verkleidet am Eingang posieren, haben wir noch ordentlich Mitleid. Erst als wir in völlig untouristischen Städten Leute beim Nudelnschlürfen oder Schuhverkaufen mit Niklauskappe antreffen, wird uns klar: Das ist freiwillig! Kein T-Shirt zu rosa, kein Lametta zu bunt, kein elektrisches Lämpchen zu schrill, keine Chlausmütze zu doof und kein Weihnachtsbaum zu künstlich, um des Thais Liebe für Kitsch zu befriedigen.

Der Thailänder ist auch ein geduldiger Mensch. Erstens: Er hupt nicht. Zweitens: Er überholt mit Respekt. Drittens: Er zuckt mit keiner Wimper, wenn wir wieder mal die falsche Richtung die Einbahnstrasse hinunterfahren. Oder auf der falschen Strassenseite. Oder beides. Ein Extrembeispiel erleben wir an einem frühen Morgen, als wir in einer schmalen Quartierstrasse unsere Gäule satteln. Heran braust ein Toyota Hilux (was sonst) und fängt an, neben uns in aller Ruhe etwas auszuladen. Kommt der Pöstler auf dem Töffli angefahren. 2 Velos, 1 Kleinlaster, da bleibt bei aller Liebe kein Platz für ein Durchkommen. Wollen wir doch mal kurz vor dem geistigen Auge durchgehen, wie die Pöstler auf unserer bisherigen Route reagiert hätten:

Der Pöstler in…

China: …hätte so lange laut (!) dauergehupt (!), bis wir uns 30 Sekunden später alle völlig entnervt (und taub) von der Strasse geräumt hätten.
Italien: …wäre so früh sowieso nicht unterwegs. Er sitzt noch in der Bar beim Caffè. Oder beim zweiten. Oder beim dritten.
Griechenland: …hätte gerade gestreikt. Arbeit ist lästig.
Türkei: …hätte uns spontan zum Tee eingeladen. Ein Tee löst jedes Problem.
Laos: Es gibt keinen Pöstler.
Tadschikistan: …wäre auf den Esel umgestiegen und hätte den Umweg über die Berge genommen.
Albanien: …hätte uns vermutlich erschossen. 😉 (Und dann im Mercedes die Flucht ergriffen)
Iran: …hätte uns nach Hause eingeladen.
Usbekistan: …hätte erst mal den Vodka hervorgeholt, um die willkommene Pause zu feiern.
Schweiz: …hätte verärgert „sölemal choo“ gerufen und auf seinem GPS fieberhaft eine Alternativroute gesucht. Zeit ist schliesslich Geld!

Und was passiert in Thailand? Der Pöstler wartet seelenruhig, ohne zu hupen, ohne überhaupt ein Wort zu sagen, geschlagene fünf Minuten geduldig vor dem Auto, bis er vorbeifahren kann. Einzig die Tatsache, dass er dabei den Motor nicht abstellt, gibt ein paar Punkte Abzug.

Man würde es kaum glauben, aber die Einfahrt in die Megacity Bangkok gestaltet sich erstaunlich stressfrei. Bis 30 Kilometer vors Stadtzentrum folgen wir einem lauschigen Kanal. Offenbar haben wir dabei per Zufall die absolute ‚In‘-Strasse erwischt, denn uns kommen im Minutentakt hippe Bangkoker auf dem Rad entgegen. Danach schlängeln wir uns durch schmale Quartiergassen, Einbahnstrassen (natürlich verkehrt) und bei inzwischen brütender Hitze schlussendlich doch noch durch schweren Stadtverkehr – und dann sind wir da. Hip, hip, hurra: Zürich – Bangkok in 283 Tagen!

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Obwohl wir beim Anblick von weissbeinigen Rucksacktouristen und fettwampstigen Westlern erst mal einen zünftigen Kulturschock erleiden, sind wir nach wie vor grosse Fans dieser Stadt. Ob im chaotischen Gewusel von Chinatown oder als Winzlinge vor gigantischen Buddha-Zehen in einem ‚Wat‘, Bangkok hat unglaublich viele Facetten. Und wir feiern zahlreiche Wiedersehen. Peter aus Hongkong, mit dem wir im Jeep die letzten Pamirkilometer verbracht haben, ist per Zufall ebenfalls in der Stadt. Silvester verbringen wir mit gleich sechs anderen Fernradlern: Heidi & Markus aus Österreich, Ria & Oliver sowie Anja & Peter aus Deutschland. Das Highlight wird nicht wie erwartet das Feuerwerk (fand woanders statt), sondern das ausgelassene Feiern mit festfreudigen Thais (siehe oben). Wir kennen zwar keinen einzigen der live gespielten Songs, dennoch tanzen wir bis früh in die Morgenstunden durch und unsere deutsch-österreichisch-schweizerische Polonaise wird ein grosser Hit… Ein perfekter Start ins Jahr 2557!

Nach einer Woche Faulenzen zwickt es uns langsam im Veloschuh und wir freuen uns richtig, wieder loszufahren. Wobei loslaufen vermutlich das bessere Wort wäre. Ich sage nur: Finger weg von Google Maps für Fussgänger! Voller Freude erstelle ich am Vorabend auf Google Maps eine Route. Da wir keine Lust haben, auf vierspurigen Autobahnen aus der Stadt zu fahren, wähle ich ganz einfach die Option ‚Fussgänger‘. Erst geht das Ganze ja noch prächtig und bei der Ausfahrt aus der Innenstadt über eine pompöse Brücke stehen bereits die Filmteams und Fotografen da und nehmen uns eifrig ins Visier. Nanu? Offensichtlich sind wir nur die Vorband für, wie wir vermuten, einen weiteren Bangkoker Strassenprotest. Danach werden die Strassen jedoch schmaler und schmaler, es geht über Fussgängerbrücken, Hinterhöfe, über Trampelpfade und auf windigen Stegen – und wäre es strikt nach Google Fussgänger-Maps gegangen, hätte es auch noch ein paar Treppen im Sortiment gehabt.

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Doch trotz gelegentlichem Gefluche meines Navigationsmannes beschert uns diese Art von Ausreise aus Bangkok eine relativ verkehrsarme und spannende Fahrt. Später weicht das Betongrau einem saftigen Grün und wir fahren stundenlang durch schwimmende Gärten mit Zitronen und Mandarinen, Ananasplantagen und Reisfelder. Wir machen sogar noch einen Schlenker zu den berühmten ‚Floating Markets‘. Doch naiv von uns! Auf dem schwimmenden Markt ist natürlich nur am Wochenende Betrieb, wenn die Touristen aus Bangkok anrollen. Unter der Woche pfeift man hier aufs Schwimmen und geht in den Supermarkt. Wir stürzen uns fürs Foto aufs einzige schwimmende Schiff und radeln dann zügig an unseren Zielort Samuth Songkhram. Auch hier ein herzliches Dankeschön an Google Maps, denn sämtliche der dort eingezeichneten Hotels existieren nicht, nicht mehr oder werden wohl erst in 20 Jahren gebaut. Wir verlassen uns deshalb auf die gute alte analoge Methode… und fragen. Das Englisch ist hier nicht mehr so flüssig wie auch schon, deshalb nimmt mich die Dame an der Hand und führt mich in ein Lokal um die Ecke. Etwas was wir nie als Hotel identifiziert hätten, entpuppt sich als nette Erinnerung an türkische Verhältnisse. Wir erhalten ein blitzsauberes Kämmerlein mit Holzboden, zwei dünne Tücher aus Baumwolle und duschen dann ‚the Thai way‚. Wir haben die Qual der Wahl: Kaltes Wasser mit der Schöpfkelle aus dem Brunnen oder fliessend kaltes Wasser aus der Dusche (hohoo!). Aber hey, für 4 Franken das Zimmer sowie jede Menge unbezahlbaren Charme ist das ein echter Deal. 😉

Am Tag danach gibt es ein weiteres freudiges Wiedersehen. Seit Istanbul stehen wir das erste Mal wieder am Meer! Der Weg führt über eine vom thailändischen Amt für Landstrassen gesponserte Route, wo (nicht übertrieben!) alle zwei Kilometer ein lustiges Hinweisschild zu lokalen Gegebenheiten wartet. Mit der Zeit lässt unser Elan nach, ständig zu stoppen, um zu erfahren, warum die Salzwasserdrossel aus dem Nordkaukasus im Winter ausgerechnet hier ihre Eier ausbrütet. Trotzdem herzlichen Dank, Department of Rural Roads!

Apropos Proteste. Aus der fernen Heimat hören wir immer wieder besorgte Stimmen zur Lage in Bangkok. Obwohl das bekannte Travellerviertel Khaosan Road nur eine Querstrasse vom Ort des Geschehens weg liegt, hat man während unseres Aufenthalts ausser ein paar umgeleiteten oder nicht fahrenden Stadtbussen nichts davon bemerkt. Eigentlich schade, denn seit Istanbul haben wir kein Tränengas mehr geschnuppert! Das Protestlager erinnert uns mit seinen bunten Zelten, den Strassensperren und der Jahrmarktstimmung zwar ein bisschen an damals am Bosporus, dennoch liegen Welten dazwischen. Istanbul war bunt, schrill, ein Fest, ein Ereignis, eine Entladung lange aufgestauter Wut, eine Bewegung aus dem Volk, von der Regierung brutal niedergeschlagen und dadurch von überraschender Kreativität beseelt. Hier ist offensichtlich die reiche, unzufriedene Opposition am Werk, die gigantische Fernsehschirme und luxuriöse Festzelte installiert hat, gratis Essen und Trinken verteilt, während der Oppositionsführer Abend für Abend stundenlang Hassreden ins Mikrofon brüllt. Wir kennen uns mit den thailändischen Verhältnissen zu wenig aus. Doch dass die reiche Oberschicht ihre Interessen mit allen Mitteln durchsetzen und gar Neuwahlen verhindern wollte, scheint uns alles andere als demokratisch. Sympathiepunkte gibt das nicht.

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Unser erster Strandstopp begeistert uns wenig. Cha-Am ist wie Hua Hin ein bekannter Badeort in Bangkoks Reichweite und hier sitzen vor allem pensionierte Deutsche, Schweizer oder Nordländer und füllen ihren Lebensabend mit Bier. Vorbei an unzähligen Shrimp-Farmen und Karstfelsen geht es darum zügig in den Süden. Umso grösser ist die Überraschung, in Prachuap Khiri Khan ein fast griechisch anmutendes Küstenörtchen zu finden. Zwar lungern immer noch erstaunlich viele Westler in diesem attraktionsbefreiten Ort herum, aber der Monkey Mountain, der populäre Wochenendmarkt, das gute Essen und die relaxte Atmosphäre verleiten uns dazu, ein paar Tage hängenzubleiben. Danach wird die Szenerie spektakulär. Unsere Route führt zum grossen Teil auf kleinen Nebenstrassen unter Palmhainen direkt am Meer entlang. Da wir die langweilige und lärmige Schnellstrasse vermeiden wollen, landen wir oft auch auf etwas zweifelhaften Routen. Wir tragen unser Velo über Bahngeleise und Strassensperren oder stossen sie durch Sandwege, um am Ende der Welt auf zwei sympathische und englischsprechende (!) Französinnen auf dem Mietroller zu treffen. Die Überraschung war gegenseitig! Einsame Strände wechseln sich in der Folge mit kleinen Fischerdörfern ab und dank Rückenwind fliegen wir nur so dahin. Kein Wunder, bleiben wir in Bang Saphan gleich wieder hängen. Ein reizendes Holzbungalow, Hängematten direkt am Meer, ein Strandrestaurant, hohe Wellen, laues Wasser – Velofahrerherz, was willst du mehr.

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Für die Strecke nach Bangkok in den Süden hatten wir uns auf Langweile eingestellt. Doch das Gegenteil trifft ein: Die Küstenstrasse ist ein kleiner Geheimtipp. Riesige Buddhas, einsame Palmbuchten, Karstfelsen, Mangrovenwälder, Sanddünen und gar schon die ersten Moscheen kreuzen unseren Weg. Kurz vor Chumphon treffen wir ein vorläufig letztes Mal Heidi & Markus und wollen vor dem gemeinsamen Nachtessen „no schnäll“ unsere Bremsklötze austauschen. Wir sind etwas irritiert, als Markus bei den Worten „noch schnell“ in schallendes Gelächter ausbricht. Vier Gummiklötzli montieren, das ist dank unserer Magura doch ein Kinderspiel. Oder? Nein! Es wird ein Hängen und Würgen, ein endloses Fluchen, wir müssen die Schaltkabel verdrehen, versteckte Schrauben lockern und bringen es auch nach Stunden des Googelns nicht auf die Reihe. Das nächste Mal, so schwören wir uns, setzen wir auf mechanische Scheibenbremsen. Und sagen: Danke, Magura, danke!

Der Wechsel von der Ost- an die Westküste ist mit einem klitzekleinen Detail verbunden: Berge. Erst fahren wir Hügelketten von Karstbergen entlang, die aussehen wie ewiglange Kamelhöcker. Was den Vorteil hat, dass man die steilen Bergflanken (mit dem einen oder anderen Loch drin!) gäbig von der Seite her anschauen kann. Es geht recht zahm auf und ab und just in dem Moment, als Christian befriedigt auf das GPS schaut und sagt: „Jetzt hämmers dänn grad gschafft!“, geht es natürlich erst richtig los. Der thailändische Strassenbauer stand wohl vor diesem Bergmassiv und dachte sich: Wieso Asphalt verschwenden? Kurven sind sowieso überbewertet. Also fahren wir die nächsten Kilometer gredi den Berg hinauf und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es an gewissen Stellen bei 16% Steigung weder im Slalom noch schiebend vorwärts geht. Aber der Vorteil an steilen Bergen ist, dass die Höhenmeter recht schnell purzeln. Und wir purzeln hinten den Berg wieder hinunter.

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Good morning Burma!

Ranong steuern wir nur aus einem Grund an: Wir haben ein administratives Problem. Dank unserem Bergausflügli im Norden fehlen uns jetzt ungefähr sieben Tage, um rechtzeitig vor Ablauf unseres Visums ausser Landes zu kommen. Zwar wäre es trotz Berücksichtigung der allgemeinen Gesetze der Physik theoretisch denkbar gewesen, dass wir es schaffen könnten, aber das hätte ein Nonstopgeradel ohne Blick nach links und rechts bedeutet. Und wehe, einer von uns hätte wegen gesundheitlichen Problemen nicht weiterfahren können. Was also tun? Ausreisen, natürlich!

Dank Internet wissen wir genau, welches Sammeltaxi uns zur Bootsanlegestelle bringt, dass wir frisch gedruckte Dollarnoten im Gepäck haben müssen, wie viel der durchschnittliche Burmese für die Überfahrt hinblättert und dass man beim beliebten ‚Visa-Run‘ nach Burma gerne billigen Fusel einkauft. Mit einer Schwimmweste bewaffnet lassen wir uns auf einem schmalen Holzkahn in 20 Minuten über den Meerbusen auf die burmesische Südspitze übersetzen. Neben uns sitzt ein amerikanischer Schriftsteller mit französischem Beret und wir hirnen die ganze Zeit, ob vielleicht gerade Stephen King oder Dan Brown neben uns sitzt…? Das Prozedere ist denkbar einfach. Aus dem Böötli steigen, dem ominösen Schriftsteller ins Immigrationsbüro folgen, unsere nigelnagelneuen Dollar für ein Dreitages-Visum hinlegen, sich in diesem Burma ein bisschen die Beine vertreten und dann wieder zurück aufs Böötli. Aufenthaltsdauer in Minuten: 20. Ausgaben in Dollar: 20. Gekaufte gefälschte Pillen: 0. Wiedereinreise nach Thailand: Gratis. Schön wars!

Thailand im Zeitraffer

Verrrückt: In Ranong haben wir schon fast 2500 Kilometer auf thailändischem Boden erradelt. Bis zum Grenzübertritt nach Malaysia sollen nochmals rund 700 dazukommen. Damit legen wir im Königreich des Lächelns eine weitaus grössere Distanz als in China zurück – wer hätte das gedacht! Trotz 60-Tages-Visum, das wir sogar noch verlängern mussten: Wir könnten problemlos noch ein paar Wochen anhängen. Vielfältig das Land, freundlich die Menschen, lecker das Essen: Da wird es auch nach so langer Zeit nicht langweilig.

Wir fahren vom Dschungel durch Zuckerrohr- und Sonnenblumenfelder, vorbei an Kokoszuckerfabriken, Meeressalinen und Garnelenzuchtbecken, sausen durch endlose Kautschuk- und Palmölplantagen, lassen uns vom Wind auf schmalen, palmenbewachsenen Küstensträsschen nach Süden tragen. Haben wir zum Wetter nördlich von Bangkok noch „sonnig, angenehm warm“ notiert, heisst es ab unserem Stopp in der Hauptstadt dann „sonnig, sehr heiss“. Bei der Querung von der Ost- zur Andamanenküste erleben wir einen Platzregen von genau 2 Minuten Dauer – es soll der einzige Niederschlag seit den weit entfernten nordthailändischen Bergen bleiben. Danach heisst es in unseren Wetterbeobachtungen „Wüstengefühle kommen auf“, „seeeehr heiss“ oder einfach nur noch „ächz!“.

P1120381aDa lernt man gewisse Dinge sehr zu schätzen, zum Beispiel den allgegenwärtigen 7-Eleven. Über 7200 Filialen dieser kleinen Supermärkte soll es in Thailand geben. Gut möglich, dass man in einer Strasse vor einer Filiale steht und in der Ferne bereits die nächsten vier dieser Läden sieht! Uns solls recht sein, denn oft sind wir froh um eine kurze Pause und ein erfrischendes Getränk in diesen Klimainseln. Speziell der Eiskaffee im beängstigend grossen „Super-Cool“-Becher hat es uns angetan: Nach diesem Zuckerschub fliegen wir in der Bruthitze die nächsten paar Kilometer nur so dahin. Nicht ungefähr lautet der Slogan: „Oh Thank Heaven for 7-Eleven“!

Neben einigen Fernradlern treffen wir nun wieder auf Massen von Touristen – kein Wunder bei so wohlklingenden Destinationen wie Khao Lak oder Krabi! Einige sind irritiert, dass wir gar nicht wie Langzeitreisende aussehen: „You look so fresh!“ Als Veloabenteurer sollte man eben die gängigen Klischees bewirtschaften: Ein ungepflegter Bart, verlaustes Haar, die Haut total braungebrannt und notdürftig bedeckt mit löchrigen Kleidern. Es geht auch anders! Gerne geben wir hier unser Geheimnis preis: Sonnencrème mit Schutzfaktor 50, eine Wegwerfrasierklinge und billiges chinesisches Waschpulver verhelfen zu einem adretten Äusseren. Vermutlich alles überstrahlt haben aber unsere neu erworbenen knallgelben und -blauen T-Shirts.

Pizza, Steak und German Weissbier gibt es hier an jeder Ecke, aus den Bars wummert die Partymusik und selbst die einfachsten Zimmer kosten unverschämt viel, während der Strand selbst durch die bis weit in den Sand hineingebauten Hotelzeilen verschandelt ist. Wir finden ausser am glasklaren Wasser und einem hübschen Strandlokal wenig Gefallen an Khao Lak und flüchten ins ebenso touristische Krabi. Die Fahrt dahin ist allerdings ein Hingucker: 150 Kilometer durch majestätische Karstfelsen, auf kleinsten Strässchen durch kleine muslimische Dörfer, wo wohl nur selten Fremde durchfahren.

Einen Glückstreffer abseits vom Ferienrummel landen wir mit Pak Meng, einem kleinen Fischerdorf etwas weiter südlich. Während sich wenige Kilometer draussen im Meer auf der Paradiesinsel Ko Lanta die Urlauber gegenseitig auf die Füsse stehen und kaum noch ein Zimmer zu finden ist, geht hier das Leben der Fischer seinen gewohnten Gang. Am Wochenende ist der verschlafene Ort eine beliebte Destination für Thais, während wir unter der Woche praktisch allein sind. Wir finden den schönsten Bungalow unserer Reise und frönen drei Tage lang dem Nichtstun. Der abendliche Blick auf den Sonnenuntergang über dem Meer, während am Strand die Kinder planschen und draussen ein Fischerboot vorbeituckert, danach im Kerzenlicht und Mondesschein Curry-Eintopf und scharfen Rüeblisalat mit Sand unter den Füssen schlemmen: Priceless!

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Der lange Aufenthalt in Land ermöglicht uns auch, zumindest ein bisschen in den Alltag der Menschen hineinzublicken. Auch wenn das Land derzeit wieder einmal mitten in einer politischen Krise steckt und die Medien statt von Ferienparadies nur noch von Unruheherd sprechen: Die Thais geniessen ihr Dasein – recht haben sie!

Thais feiern. Immer und überall. Gerne auch mittwochnachts gleich neben unserem Bambushüttchen. Fehlen darf dabei keinesfalls Musik. Um das Vergnügen von lauter Musik auch ausser Haus zu haben, baut man sein Auto kurzerhand zur überdimensionalen Stereoanlage um. Dazu am Unterboden grün-blau-rot blinkende Lichter montieren, und fertig ist die fahrbare Disco.

Thais essen. Immer und überall und oft, am liebsten gegrillt: Fleisch, Fisch, Insekten, Innereien, Meeresfrüchte – Hauptsache totes Tier. Auf meine Frage an einen weisen Mönch, wie dies mit dem buddhistischen Glauben vereinbar sei, meint dieser nur süffisant: „They are still arguing!“ Auf jeden Fall ist unsere Fahrt auf zwei Rädern durchs Land immer auch ein Abenteuer für die Nase: An jeder Ecke wartet eine neue olfaktorische Überraschung. Überhaupt sind die Hauptstrassen vieler Dörfer und kleineren Städte eigentliche Freiluftküchen: Da wird grilliert, frittiert, gebraten, gedämpft. Früchte stapeln sich perfekt ausgerichtet zu Pyramiden. In den Töpfen warten Curry & Co. auf Kundschaft, die sich beim Vorbeifahren die gewünschten Portionen in den – na klar – Plastikbeutel abfüllen lässt. Wer nicht genug hat, lässt sich für ein paar Münzen eine Tüte frisch frittierte Bananen oder Süsskartoffeln einpacken. Egal, in welcher Abgeschiedenheit wir auch sind: Die nächste Strassenverkäuferin mit einer schnellen Nascherei wartet gleich um die Ecke!

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Frisch frittierte Süsskartoffeln und Bananen: Perfekt für hungrige Radler!

Thais beschallen die Umwelt. Als hätte nicht jede noch so rudimentäre Behausung in der Pampa sowieso einen Farbfernseher: Werbung geht hier übers Ohr. Pickup Trucks mit bedrohlich hohen Lautsprechertürmen fahren im Schritttempo durch die Gegend und beglücken die Anwohner mit Musik, Parteiparolen und dem aktuellen Sonderangebot des Möbelhändlers. Oft fährt gleich ein Konvoi von vier oder fünf Fahrzeugen hintereinander, so dass die jeweilige Botschaft in der allgemeinen Kakophonie untergeht und wir dem Lärm möglichst rasch entfliehen möchten. Ob schon einmal jemand den Erfolg dieser Werbemassnahmen gemessen hat?

In Thailand gehört obligatorisch ein hässlicher Uhrturm ins Stadtzentrum, und jedes Gericht ist mit adrett ausgestanzten Gurkenstückchen garniert. Lastwagen und Mähdrescher sind von Hand bemalt, Katzen und Hunde werden ins Mänteli gesteckt. Wie es zu diesem absurden Brauch kommt, haben wir nicht herausgefunden – wegen Erfrierungsgefahr kann es ja wohl kaum sein? Thailands omnipräsentes Wort heisst Kaa (Frau) bzw. Krap (Mann). Es ist eine thailändische Höflichkeitsform, die ab und zu gar ins Englische übertragen wird. Wir müssen lachen, wenn es jeweils aus allen Ecken schallt: Goodbye-Kaa oder Thankyou-Krap!

Immer wieder wird uns bewusst, welch ideales Fortbewegungsmittel das Velo ist. Nicht zu schnell, nicht zu langsam unterwegs, können wir Land und Leute an uns vorbeiziehen lassen, jederzeit bereit für einen kurzen oder längeren Halt für ein Foto, einen Schwatz oder einfach, um den Moment einzufangen. Was einem abseits der Hauptstrassen an einem Tag alles begegnet! Platz 1 in der Liste der meistbegegneten Spezies in Südostasien nehmen sicherlich die Männer und Frauen mit Motorsensen ein. Meist sind sie im Rudel unterwegs und häckseln am Strassenrand alles kurz und klein. Der halbe Dschungel und natürlich der herumliegende Müll fliegen uns dann entgegen, und es riecht einen kurzen Moment nach frisch geschnittenem Gras.

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Thailand produziert jährlich 3 Millionen Tonnen Kautschuk: Den stechenden Ammoniakgeruch kennen wir inzwischen nur zu gut

Die Ladung der vorbeidonnernden Lastwagen würden wir mittlerweile anhand der Duftmarke auch blind erraten. Am besten schmecken uns die Laster mit den Zuckerrohrstengeln, die wunderbar süss riechen. Ebenso weiss die Nase meistens vor dem Auge, wenn wir wieder zu einer Kautschukplantage gelangen. Thailand ist mit Abstand der grösste Produzent von Naturkautschuk. In Reih und Glied stehen die Bäume mit der angeritzten Rinde, um den Stamm gebunden ist ein kleiner Eimer, der das zähfliessende Latex auffängt. In den nahen Hütten wird der Milchsaft mit Ammoniak behandelt und zu weissen „Teppichen“ verarbeitet – von hier weht jeweils ein nicht ganz so angenehmer Duft auf die Strasse. Der einen oder anderen Gummimatte werden wir vielleicht in der entfernten Heimat wieder begegnen: 70% des Kautschuks enden als Autoreifen auf den Strassen dieser Welt.

Ab und zu kommen wir an einem Singvögelmarkt vorbei. Amüsant, den Thais zuzusehen, wie sie auf ihren Rollern daherbrausen, in jeder freien Hand einen Vogelkäfig, abgedeckt mit einem Tuch. Darunter zirpt oder trillert es ganz munter auf die Strasse hinaus. Andere gehen mit ihrem Hund Gassi, hier gibts einen Ausflug mit dem Piepmatz!

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Je weiter wir ins südliche Thailand fahren, desto vielschichtiger wird die Bevölkerungszusammensetzung. In Trang fahren wir mitten in die Hauptprobe für die Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahr. Hier wohnen mehrheitlich Chinesen und Malayen, die goldverzierten buddhistischen Wats weichen vielen (meist sehr schmucklosen) Moscheen und einigen chinesischen Tempeln. Endlich können wir wieder den liebgewonnenen Akt des scheppernden Muezzinrufs zu jeder Unzeit geniessen und in der Trinkpause vor dem Tesco-Supermarkt die muslimischen Frauen in den verschiedenen Stadien der Verhüllung bewundern. Im feucht-heissen Klima Südostasiens scheint uns eine schwarze Burka ebenso nachteilig wie in der iranischen Sommerhitze. Ein beachtlicher Teil der islamischen Frauen sieht das hier genauso: Sie sitzen kurzärmlig und mit Flip-Flops an den Füssen auf dem Moto wie alle anderen, das luftige, speziell genähte Kopftuch kann frau sich mit einem Handgriff wie eine Kappe überziehen. Praktisch!

Am letzten Januartag nehmen wir ein letztes Mal den thailändischen Boden unter die Räder, queren das Tal des dicht bewachsenen und hügeligen Thale-Ban-Nationalparks und kommen schweissgebadet am Grenzposten an, wo sich unzählige malaysische Ausflügler an den Verkaufsständen mit allerhand günstiger Ware eindecken. Nach 67 Tagen im Königreich verabschieden wir uns vom vielfältigen Ferienland: Good Bye Krap, Thailand!