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---| 19. Juli 2013 | Christian Nachtzug nach Teheran. Die Eisenbahn rumpelt durch die Steppe, ab und zu blinkt in der Ferne das Licht einer kleinen Siedlung auf. Das monotone Ta-Tak, Ta-Tak des Wagens ist einschläfernd, im Viererwagen träumt schon alles. Seit sechs Tagen sind wir nun in Iran, uns kommt es aber vor, als wären wir schon seit einer halben Ewigkeit hier. Die Erlebnisse sind so zahlreich, dass wir es kaum schaffen, sie einzuordnen geschweige denn niederzuschreiben.
Doğubayazıt, die Grenzstadt in der Türkei, verlassen wir mit gemischten Gefühlen. Wie haben wir die Gastlichkeit der Türken in den letzten 43 Tagen schätzen gelernt! Gar weit weg erscheinen uns die ersten Tage im Westen des Landes, in denen wir uns an die neue Kultur gewöhnten. Istanbul und Tränengas, Hinterland und endlose Vorstädte der Metropolen, Höhlenfelsen und Weizenfelder – wir wurden reich beschenkt mit unglaublich vielen Eindrücken. Hitze, Steigungen, Tee und der Ruf der Muezzins waren einige der Konstanten unserer Durchreise. Und nun also wartet schon das nächste Abenteuer!
Beschwingt nehmen wir den letzten Abschnitt bis zur Grenze in Angriff. Diese kündigt sich schon viele Kilometer vorher an: Eine endlose Kolonne LKWs zeigt uns an, dass es nicht mehr weit sein kann. Gleich auf beiden Spuren stehen sie da, und es wird Tage dauern, bis sie die Grenze passieren können. Zum Glück dürfen wir auf der Gegenfahrbahn galant überholen.

Kurz vor der definitiven Ausreise heisst es, letzte Änderungen am Outfit vorzunehmen. Schon am Morgen haben wir uns in ungewohnte Kluft geworfen: Lange Hosen sind nun angesagt, für die Dame ausserdem den beliebten Tschador (auch liebevoll „Sack“ genannt). Zusätzlich kommt nun noch das Kopftuch dazu, dessen erstmalige Montage wir filmisch festhalten, sehr zum Vergnügen des gleich hinter uns wartenden Lastwagenchauffeurs. Nach etwas Machogehabe des diensthabenden türkischen Zöllners – er will für unsere Velos partout irgendwelche Papiere sehen – stehen wir kurz darauf vor den Toren der Islamischen Republik Iran.
Nach sorgfältiger Prüfung unserer Pässe durch einen Militärmann heisst es absteigen bitte, wir werden ins Gebäude der Zollabfertigung eskortiert. Dort werden wir von einer charmanten Dame im schwarzen Einteiler und drei belgischen Motorradfahrern erwartet. Wir dürfen gleich als Gruppe zur Begrüssungszeremonie (oder ist es eher ein kleiner Brainwash?). Nach der Aufnahme der Personalien beginnt die muntere Fragerunde: Wo wollen wir hinreisen? Was sind wir von Beruf? Wie heissen unsere Väter? Haben wir Freunde in Land? Was wissen wir über den Iran? Wie wurde in unseren Medien über die kürzlich stattgefundenen Wahlen berichtet? Wir erfahren dabei so allerhand über das offizielle Wording der Beziehungen Irans zu anderen Ländern („nein, mit den USA haben wir kein Problem“). Gekrönt wird das Gespräch mit der unvermeidlichsten aller Fragen: Warum soll Iran keine Kernkraftwerke bauen dürfen? Betretenes Schweigen. Ratlose Gesichter in der Runde. Ich werfe ein, seit den Ereignissen in Japan nach dem Tsunami sei diese Form von Energiegewinnung sowieso nicht mehr opportun und deshalb seien wir ganz allgemein dagegen. Und überhaupt, die Schweiz plane den kompletten Ausstieg. Damit haken wir dieses heikle Thema ab und werden in die Wartezone gewiesen. Probleme mit dem Internet verzögern die Prozedur noch ein wenig, so dass wir uns mit zwei zu Fuss reisenden Australiern austauschen können. Doch dann kommen unsere Pässe zurück und wir werden – nach kurzem Zögern – vom Mann bei der Alkoholkontrolle klaglos durchgewunken. Welcome to Iran!

Mittlerweile ist es 13 Uhr und die Sonne brennt wie gewohnt mit voller Kraft auf uns herunter, neu ist allerdings der weibliche Teil unserer Reisegruppe dick eingepackt. Wir gehen es deshalb gemächlich an und fahren nur die wenigen Kilometer bis nach Maku, der ersten nennenswerten Stadt diesseits der Grenze. Sie ist in ein enges Tal zwischen mächtigen Felsen eingeklemmt. Ins Auge sticht uns als erstes die wesentlich andere Bauweise als in der Türkei: Hier werden die Häuser mit kleinen Ziegelsteinen gemauert, ohne Verputz und mit kunstvollen Erkern sieht dies ganz hübsch aus! An den wenigen Unterkunftsmöglichkeiten fahren wir erst mal vorbei, die Beschilderung muss man mit der Lupe suchen. Macht aber nichts, denn schon steht ein Iraner zur Stelle und gibt uns Tipps, wo wir die Nacht verbringen können. Wir lassen die Billigoption nach kurzer Besichtigung sein und quartieren uns im fancy Bizniz-Hotel ein – nur bitte nicht mit dem Fahrrad über den schönen Teppich fahren, gell! Im Zimmer sind alle Gegenstände mit arabischen Zahlen beklebt – ob diese Beträge zu berappen sind, wenn man das Mobiliar zertrümmert…?
Den um eineinhalb Stunden verkürzten Abend – die Zeitumstellung lässt grüssen – verbringen wir mit einem Spaziergang um die Stadt. Recht überraschend plärrt hier der Muezzin zur Gebetszeit nicht um die Wette. Die täglichen Einkäufe können nicht mehr bequem in einem Geschäft erledigt werden, für fast alles gibt es ein eigenes kleines Lädeli. Tschüss Dia, A-101, BIM, Migros und wie die türkischen Supermärkte alle hiessen! Beim (uhrzeitmässig späten) Sonnenuntergang wird es draussen schon fast gespenstig still, statt Geschäftigkeit beim endlich erlaubten Tee erleben wir leere Strassen. Händeringend suchen wir nach einem Geldwechsler, den es hier aber nicht gibt – wir hätten uns im Nest gleich nach der Grenze mit iranischen Rial eindecken sollen! Unsere Rettung kommt in der Gestalt eines Einheimischen, der lange Zeit in Holland gelebt hat und nun hier Küchenarmaturen verkauft. Er telefoniert kurz mit einem Freund für den korrekten Wechselkurs und tauscht uns unsere 50-Euro-Note. Jetzt sind wir erstmals (Rial)-Millionäre!

Da der Magen von Yvonne immer noch etwas rumpelt und die nächsten 300 Kilometer vor allem Hitze, Ramadan und wenig bis gar keine Dörfer versprechen, beschliessen wir, auf die Weiterfahrt per Rad zu verzichten und stattdessen bequem den Bus nach Tabriz zu nehmen. Dort erwartet uns ja bald Besuch aus der Schweiz!
---| 22. Juli 2013 | Yvonne Seit ich mir vor zehn Tagen an der türkisch-iranischen Grenze den Stoffvorhang über Oberkörper und Kopf warf, habe ich das Ding nur noch in der schützenden Deckung eines Hotelzimmers oder Privathauses ausgezogen. Des Nachts träume ich davon, dass ich aus lauter Vergesslichkeit „oben ohne“ aus dem Zimmer stürme, was in diesem Land wohl gleichbedeutend wäre, wie wenn bei uns jemand füdliblutt durch die Berner Altstadt flitzt. In unseren ersten Iran-Stunden bin ich also ständig um eine angemessene Verhüllung besorgt, doch bald stellt Christian mit breitem Grinsen fest: Die einzige, die es hier mit dem Hijab so richtig ernst nimmt, ist die Touristin!
Während die gläubigen Frauen in der Türkei unter dem Kopftuch noch ein zusätzliches Stirnband montieren, damit vor dem fremden Manne auch ja kein Haar enthüllt wird, sitzen die Tücher hier vor allem bei jungen Frauen oft so locker, dass sie einem lästigen Feigenblatt gleich gerade noch so knapp am Hinterkopf baumeln. Vorne präsentiert Frau dann keck die aufwändig auftoupierten Stirnfransen, die eben operierte Nase (kein Scherz!) und diverse Sonnenbrillen von Gucci bis Prada.
Der Einstieg in das uns noch unbekannte Land wird uns nicht in bester Erinnerung bleiben. In meinem Bauch rumpelt es noch immer und der wolkenlose Himmel verspricht erneut gnadenlose Hitze. Deshalb steuern wir trotz ein bisschen Wehmut, die Strecke nicht mit eigener Muskelkraft zurücklegen zu können, den Busbahnhof an. Schnell sind für Mensch und Rad zwei Tickets gekauft und unsere Räder kurz darauf im Bauch des Fahrzeugs verstaut. Zufrieden sitzen wir auf unseren Plätzen und warten auf die Abfahrt, da sticht plötzlich ein Mann mit Polizeiabzeichen auf uns zu und wedelt fordernd mit einer hohen Rial-Note. Zwar spricht er kein Wort Englisch, aber wir verstehen nur zu gut: Hopp, hopp, bezahlen! Da wir uns dumm stellen und unsere Anti-Korruptionsgesichter aufsetzen, artet das Ganze in eine regelrechte Affäre aus – inklusive einem laut fluchenden Christian, den ich selten so aufgebracht gesehen habe. Nach gehässigem Herumgefuchtel und der Drohung des Personals, unser Gepäck wieder auszuladen, bleibt uns nichts anderes übrig, als den offensichtlich illegal geforderten Betrag zu zahlen. Zwar reduziert sich unser Korruptions-Obolus nach heftigen Diskussionen mirakulöserweise von 150’000 auf 100’000 Rial, umgerechnet nicht einmal drei Franken. Aber immerhin ist das fast gleichviel, wie das reguläre Ticket kostet, und so sind wir nach allem, was wir Gutes über dieses Land gehört und gelesen haben, erst einmal ziemlich konsterniert.
Vier Stunden und vier Polizei-Checkpoints später (Polizist steigt ein, zeigt mit dem Finger auf uns und sagt: „You! Passport!“) spuckt uns der Bus in Tabriz aus. Die Hitze haut uns fast vom Sattel: Der Velocomputer zeigt 49 Grad! Etwas planlos navigieren wir durch den schweren Verkehr der Innenstadt und halten irgendwo im Zentrum an, um uns zu orientieren. Es vergehen keine drei Minuten, da hält ein Wagen neben uns, heraus winkt ein junger, adrett gekleideter Iraner. Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin bietet er uns spontan an, bei seiner Familie zu übernachten. Wir sind platt: Einfach so bei komplett fremden Leuten einfallen? Wir tun, was unser Reiseführer in solchen Situationen rät: Just say „yes“! Während Ali* noch kurz von dannen braust, um für seinen neuen Gemüseladen eine Klimaanlage zu kaufen, stehen wir im Schatten einer Hauswand und harren mit gespanntem Grinsen der Dinge, die da kommen. Und staunen nicht schlecht, als innerhalb kurzer Zeit zwei weitere Autofahrer anhalten und uns zu sich nach Hause einladen. Einfach unglaublich!
Was uns in den nächsten 24 Stunden erwartet, berührt uns tief und zeigt eine Dimension von Gastfreundschaft und Offenheit für Fremde, die uns sprachlos macht. Wie sich herausstellt, werden wir bei den wohlhabenden Eltern von Ali einquartiert. Sie wohnen in einem ausladenden Appartement mit stilvollen Möbeln, einem riesigen Flachbildschirm und einer ultramodernen Küche im obersten Stock eines Wohnhauses. Bei unserer Ankunft werden wir herzlichst begrüsst und sofort an den Esstisch geführt. Es ist Mittagessenszeit und wir werden regelrecht gemästet. Ganz verblüfft fragen wir: Ramadan…?!?
Dank dem Umstand, dass Ali und seine sympathische Mutter Shaadi* sehr gut Englisch sprechen, erfahren wir unglaublich viel über das Leben im Iran und die Meinung des Volks zur aktuellen Situation. Da die Menschen de facto zum islamischen Glauben und auch zum Ramadan gezwungen werden, ist die Unzufriedenheit riesig. Egal wer, wo und wann, die Leute halten auch in aller Öffentlichkeit mitten auf der Strasse mit ihrer Meinung nicht zurück. Ein junger Filmstudent, der uns auf der Suche nach einer Sehenswürdigkeit weiterhilft, sagt es am unverblümtesten: I don’t like Iran!
Dabei wäre der Iran, sagen sie quasi unisono, ein wundervolles Land. Wären da nicht die Regierung, die schlechten internationalen Beziehungen und die vielen Verbote und Beschränkungen: Kein Alkohol, keine westliche Musik, keine Parties, keine Barbie-Puppen (naja, kein Verlust), keine Berührungen zwischen Frau und Mann in der Öffentlichkeit, kein Facebook und kein Satelliten-TV (und trotzdem habens alle) und natürlich der Verhüllungszwang für Frauen. „Die einzige Freude, die uns im Alltag bleibt“, meint unsere Gast-Mutter resigniert, „ist das Essen…“ Da Shaadi nach 30 Jahren Arbeitsleben pensioniert ist, hat sie reichlich Zeit und kutschiert uns nach dem Mittagessen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Christian und ich haben in unserem Leben ja schon einiges an Strassenverkehrssituationenen erlebt, doch auf dieser rasanten Fahrt wird uns Wind und Weh: Wer auf Irans Strassen überleben und vorwärtskommen will, braucht eiskalte Taktik und stählerne Nerven. Shaadi grinst amüsiert ob unseren schockierten Gesichtern und meint, dass sie als autofahrende Frau sowieso nicht für voll genommen werde. Sagts, und drückt aufs Gas.

Am nächsten Tag besuchen wir den Gemüseladen des Sohns, rüsten Kräuter, scherzen und kochen gemeinsam italienische Macaroni; die Schwiegertochter und Freunde kommen zu Besuch, wir schauen Fotos von unserer Heimat und von Shaadis Europabesuchen an (hoffentlich bald auch in die Schweiz!) und verabschieden uns am späten Nachmittag schweren Herzens von unserer so liebgewonnenen Gast-Mutter und ihrer Familie. Wir spüren, dass uns Shaadi zu gerne noch etwas länger dabehalten hätte, aber wir wollen die unglaubliche Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Zudem kommt ja demnächst unser Schweizer Besuch!
So radeln wir kurz darauf einmal mehr bei Backofentemperatur 16 Kilometer durch die Stadt. Unser Ziel schon fast vor Augen, werden wir erneut abgefangen. Mustafa* ist in der Couchsurfing-Community, hilft uns spontan bei der Hotelsuche und lädt uns später zu Sirup, Obst und Tee ins Haus seines Bruders ein. Was für ein Gaudi: Nach einer rasanten nächtlichen Fahrt durch die Aussenquartiere von Tabriz sitzen wir wenig später wie zwei Zootierchen im pompösen Wohnzimmer des Hauses, während Familie, Nachbarn und wie es scheint die halbe Stadt ein- und ausgeht. Als Mustafa und sein Bruder nachts um zwei Uhr anfangen, Karaoke zu singen und selbstgeschriebene Gedichte vorzutragen, geht auch noch die letzte Zurückhaltung verloren: Fragen auf Farsi und Antworten auf Englisch fliegen hin und her, es wird gefilmt, mit dem Handy fotografiert und wir sind nicht mehr sicher, wer sich mehr über den kulturellen Austausch gefreut hat. Sie oder wir. 🙂
Neben all der Hilfsbereitschaft, der Freundlichkeit und den neugierigen Fragen („What do you think about Iran?“ „How do you like Iran?“) gibt es aber auch Momente, die uns nachdenklich stimmen. Frauen, die von ihrer arrangierten Ehe erzählen, und davon, neben einem anstrengenden Job, dem Führen des Haushalts und der Erziehung der Kinder dem Ehemann am Abend noch den Tee servieren zu müssen. Und dass eine Scheidung trotz allem nicht in Frage kommt. Oder ein junger Mann, der sich beim unserem Anblick wehmütig an die Zeit vor seiner Heirat zurückerinnert, als auch er noch als „Fernradler“ durch den Iran tingelte und nachdenklich meint, das Schlimmste sei es, wenn man aufhöre zu träumen…
Nicht zuletzt deshalb wundert es uns nicht mehr, werden wir an jeder Ecke mit einem Lächeln von Menschen angesprochen: Sei es, um ein wenig Englisch zu sprechen, sei es vielleicht auch, um den Hauch ferner Länder zu schnuppern. Oder manchmal auch einfach nur für ein herzliches Welcome oder Thank you for visiting Iran!
* Namen geändert
---| 3. August 2013 | Yvonne In der Nacht, bevor der Ramadan beginnt, schlafe ich schlecht. Ich träume, das öffentliche Leben würde von einem Tag auf den anderen komplett lahmgelegt. Die Strassen leergefegt, keine Bauarbeiter mehr, die in der Baustelle nebenan lärmen, niemand sitzt mehr im Teehaus, alle Läden sind geschlossen und kein lustiger Früchtehändler steht mehr mit seinem Holzkarren auf der Strasse – kurzum, das Leben einen Monat lang im Stillstand. Was für ein Albtraum!
Als wir am Morgen des 9. Juli erwachen, scheint alles so wie sonst. Wir öffnen den Vorhang, und draussen hämmern fröhlich die Bauarbeiter in der prallen Sonne. Als wir das Hotel verlassen, winkt uns der Früchtehändler hinter seinem Berg Melonen zu, die Läden sind wie gewöhnlich offen, die Leute kaufen ganz normal ein und die Männer sitzen wie immer beisammen im Teehaus. Der einzige Unterschied: Sie sitzen vor leeren Tischen. Wie absurd das aussieht! Das ist wie wenn in der Schweiz Ramadan wäre, und trotzdem sässen alle in der Gartenbeiz, um „nichts“ zu konsumieren…
Als wir auf unserer nächsten Etappe an einer kleinen Tankstelle ganz verschämt etwas Kaltes zu Trinken kaufen, getrauen wir uns nicht, es gleich vor Ort in unsere ausgetrockneten Kehlen zu stürzen. Doch mit Erstaunen stellen wir fest: Da sitzt Herr Türke fröhlich im Hinterzimmer und … trinkt Tee! Einen Monat lang während dem Tag nichts trinken, nichts essen und nicht rauchen? Denkste! Während wir versuchen, unsere Trink- und Esspausen möglichst im Versteckten zu verbringen, orten wir bei unseren Muslim-Kollegen einen Regelverstoss nach dem anderen. Wir sehen junge Männer beim Rauchen, treffen Bauarbeiter beim Snack-Einkauf im Lädeli, erhalten beim Teppichhändler im Hinterzimmer Wasser und Tee, die Lastwagenfahrer halten ihre Teetassen in voller Fahrt keck aus dem Fenster, und irgendwann finden wir heraus, dass gewisse Restaurants auch am Tag geöffnet haben und im Untergeschoss oder im 1. Stock weiterhin Essen servieren.

In der Deckung des Stromzählers beim heimlichen Trinken erwischt!
Ramadan, oder Ramazan wie man hier sagt, heisst: Während 16 Stunden, also zwischen Sonnenaufgang (ca. 4:30) und Sonnenuntergang (ca. 20:30 Uhr), ist das Essen und Trinken für Frauen ab 9 Jahren und Männer ab 15 Jahren untersagt. In anderen Ländern kann das auch länger oder kürzer sein. Pech zum Beispiel hat, wer den Ramadan am Polarkreis verbringt, erklärt uns ein junger Türke grinsend. Nun wissen wir auch, weshalb die Muslimdichte in dieser Region so klein ist. 🙂
Besonders im Iran ist das Essen in der Öffentlichkeit im Ramadan gesetzlich verboten und Restaurants müssen während des Tages geschlossen bleiben. Trotzdem scheinen uns die Regelverstösse hier noch fast krasser: Quasi jeder, den wir fragen, sagt uns, er faste nicht. Wenn wir wissen wollen wieso, sind die Ausreden mannigfaltig: „Ich bin krank – ich habe Magenprobleme!“ „Ich bin dagegen“ „Es ist zu heiss!“ oder: „Ich bin Student, ich kann unmöglich fasten!“. Beim Basar in Teheran bildet sich vor einem Kiosk, der kalte Getränke verkauft, eine lange Schlange, ein Bazari verkauft heissbegehrte Sandwiches und im Park sitzen einige Teheraner ganz ungeniert und machen Picknick.
Ob es am Ramadan liegt oder ob es immer so ist, wissen wir nicht: Tatsächlich ist die Nahrungsmittelbeschaffung im Iran aufwändig und manchmal auch frustrierend. Das Konzept des Supermarkts ist bis auf wenige Ausnahmen gänzlich unbekannt. Für jede Warenart muss im eigenen Lädeli eingekauft werden. Das Brot beim Beck, das Süssgebäck beim Confiseur, der Frischkäse beim Lebensmittelhändler, die Früchte beim Gemüsehändler, die Kartoffel-Chips am Kiosk. Ausserdem scheint Brot Mangelware. Kaum hat ein Bäcker seinen Lehmofen angefeuert und verkauft seine frischgebackenen, runden Fladenbrote, bildet sich eine Warteschlange und die Iraner tragen gleich stapelweise davon nach Hause.
Die Zahl der nichtfastenden Iraner variiert, je nachdem, wen wir fragen. Die meisten tippen auf 60 bis 80 Prozent. Ob diese Schätzung danebenliegt oder nicht, können wir nicht beurteilen. Unbestritten ist aber, dass eine „Lücke“ im Ramadan-Gesetz ziemlich schamlos ausgenutzt wird: Reisende sind vom Fasten ausgenommen. Auf Busfahrten werden deshalb Guezli und Saft verteilt, und es wird fröhlich gegessen, getrunken, geraucht. Im Hotel gibt es wie gewohnt Frühstück, und das nicht nur für Ausländer. Und an einem Busbahnhof werden wir Zeuge eines seltsamen Spektakels: Ein älterer Herr braust mit seinem Töff an, kauft sich eine Glace, isst sie genüsslich und fährt wieder nach Hause. Ob Allah das wohl mit „Reisender“ gemeint hat?
Es ist vermutlich auf der ganzen Welt gleich. Ist bei uns Weihnachten noch ein Fest der Einkehr und der spirituellen Rückbesinnung? Genau so ist es hier. Auch hierzulande ist während der Fastenzeit eine zunehmende Konsum- und Shoppingwut zu beobachten. Obwohl man heuer erst das Jahr 1392 schreibt, sind die Iraner (wohl sehr zum Bedauern der Mullahs) beileibe nicht mehr im Mittelalter und sie sagen sich bei 40 Grad Aussentemperatur doch ganz einfach: Ramazan, Schmamazan!
---| 6. August 2013 | Christian 16. Juli – der Tag, an dem wir uns in Tabriz mit Andrea und Andrew treffen sollen. Unser Besuch aus der Schweiz hat Iran trotz Ramadan und Sommerhitze als Feriendestination gewählt: Respekt! Gemeinsam wollen wir Städte mit so klingenden Namen wie Esfahan, Shiraz und Yazd besuchen. Und wie treffen wir uns in einer Millionenstadt? Kein Telefon brauchts, kein SMS und auch kein E-Mail: Wir werden auf der Suche nach einer Geldwechselstube vom stadtbekannten Touristenführer Nasser Khan in sein Büro gezerrt, wo wir mit einer Stadtkarte und Tipps bestückt werden. Während wir im weichen Sofa sitzen, hören wir plötzlich Stimmen und „Switzerland“ und dann? Stehen die beiden vor uns – einen grösseren Zufall gibts gar nicht! Die Freudenschreie sind den Herren Touristenführern etwas gar unziemlich. Das öffentliche Bekunden von Emotionen ist hier nicht an der Tagesordnung und wir werden gebeten, doch etwas leiser zu sein. So machen wir uns auf den Rückweg in unsere Unterkunft, wo wir gleich die Tichukarten auspacken und die erste Runde des lang ersehnten Iran-Tichuwettkampfs starten. Viele weitere Spielrunden werden folgen, womit wir jeweils mit 0.0%-„Bier“ und Snacks die Bruthitze des Nachmittags hervorragend überbrücken können.
Die Erkundungstour zu viert setzen wir bald zu fünft fort: Auf der Strasse spricht uns Ali an, ein Deutsch-Iraner mit einer bedauernswerten Geschichte. Er lebt eigentlich in Deutschland, sitzt aber seit rund zwei Jahren in Iran fest, weil ihm der Reisepass abgenommen wurde und er nun nicht mehr ausreisen kann. Organisiert wurde das Ganze von seinem iranischen Vater, der ihn schon als Kind einmal von Deutschland nach Iran entführt hatte und ihn nun mit Zwang in der fernen „Heimat“ behält. So bringt Ali sich mit einem Job in einer Pizzeria über die Runden und träumt von einem baldigen Ende seiner Odyssee, der Rückkehr nach München – und natürlich von einem richtigen Bier. Da Ramadan ist und sein Restaurant derzeit renoviert wird, hat Ali Zeit und führt uns durch die Stadt, hilft uns beim Kauf einer iranischen SIM-Karte und beim Lesen der Speisekarte beim Abendessen. Reis und Fleisch beziehungsweise Reis, Linsen und Kartoffeln für die Vegetarier stehen letztendlich auf dem Tisch. Und dabei soll es an vielen weiteren Abenden bleiben – die iranische Küche glänzt nicht gerade mit Abwechslung…

Tags darauf machen wir uns früh auf den Weg, finden die gut versteckte Blaue Moschee fast nicht und wandeln durch das Labyrinth des riesigen, UNESCO-geschützten Basars der Stadt, wo immer die gleichen Handelsgüter an einem Ort vereint sind. In der geräumigen Teppichabteilung gibts nur Teppiche, wohin das Auge reicht. In der Schmucksektion glänzen die vielen kleinen Geschäfte mit Gold und Silber um die Wette. Der Abschnitt mit den Schuhen ist unüberschaubar und riecht abwechslungsweise nach frischem Leder oder Plastik. Für die Sinne wie immer am schönsten aber ist die Abteilung mit den Gewürzen – wie die zahllosen Körbe mit Kräutern, Blüten und Gewürzen duften! Kunstvoll geschichtete Würzmischungen türmen sich abenteuerlich auf silbernen Platten, Rosenblüten verströmen ein süsses Bouquet und getrocknete Kräuter duften nach einer gemähten Alpwiese. Einfach wunderbar!

Zurück im Hotel staunen wir nicht schlecht: Neben unseren Velos steht neu ein Motorrad mit Berner Kennzeichen. Wenig später gesellen sich Joséphine und Simon dazu, die auf dem Töff in die entgegengesetzte Richtung reisen. Erfahrungen und Empfehlungen werden ausgetauscht, bevor wir aufbrechen in unsere Ferien von den Veloferien. Per Nachtzug im bequemen Viererschlafwagen fahren wir für kleines Geld nach Teheran. Das Beste daran: Die Damen können sich endlich ihrer Kopftücher entledigen – wenn es nur nicht alle drei Minuten an der Türe klopfen würde und uns jemand Nüsse schenkt, Bettzeug bringt oder die Teebestellung aufnimmt. Doch wohin mit den Rädern? Wir werden an den Cargo-Schalter verweisen. Dort erklärt uns ein netter Herr, dass wir die Velos problemlos im Gepäckwagen befördern können. Fakultativ kann dabei eine Versicherung abgeschlossen werden für den Fall, dass unsere Velos auf dem Weg verloren gehen. Die Kosten der Versicherung richten sich nach dem Wert der Ware. Was nun? Den echten Wert angeben und das Mehrfache unserer Schlafwagen-Fahrscheine bezahlen? Oder tiefstapeln und die Räder als Billigware deklarieren? Mir ist mulmig dabei, da wir die Velos unabgeschlossen aus den Augen lassen müssen. Also teile ich den wahren Wert der Zweiräder mit, worauf es im Büro einen Moment still wird. Die Beamten können es wohl kaum glauben, dass ein Vehikel ohne Motor ein Mehrfaches ihrer Monatslöhne kostet! So schliesse ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Versicherung in Millionenhöhe ab…
Nach einer beschaulichen Fahrt durch die Nacht trennen sich in der Hauptstadt unsere Wege für kurze Zeit – wir haben ja noch eine Rechnung beziehungsweise ein Visum bei den Turkmenen offen. Während unsere Feriengäste direkt in den Süden weiterreisen, quartieren wir uns im fahrradfreundlichen Budgethotel im Pneuhändlerquartier ein. Die Fahrt dorthin durch die Stadt verläuft erstaunlich friedlich, es ist Freitag und somit iranischer Sonntag und nur wenig los auf Teherans Strassen. Am Abend schlendern wir durch die Gassen, auf der Suche nach einem Restaurant – und bleiben letztendlich erfolglos: Ausser ein paar Frittenbuden finden wir im Umkreis von 2km gerade mal ein winziges Lokal mit vielleicht acht Tischen, die natürlich bis auf den letzten Platz besetzt sind. Wir lernen rasch: Nahrungsmittelbeschaffung in Iran ist eine Herausforderung, während des Ramadans gleich doppelt.
Da die turkmenische Botschaft am Samstag auch noch geschlossen ist, dürfen wir einen weiteren Besichtigungstag einlegen. So sitzen wir mit den Iranern im schattigen Park, wo auch tagsüber recht ungeniert gegessen und getrunken wird. Schlendern durch den Basar (gemäss Lonely Planet einer der schönsten Irans, wie auch in Tabriz, Esfahan, Shiraz und vermutlich jeder mittelgrösseren Stadt hier…). Lassen uns überreden zu einer Teppichlektion bei Hossein Hosseini, der uns seine ausgesuchten, wirklich fabelhaften handgeknüpften Teppiche präsentiert, mit seiner geschickten Verkaufstaktik bei uns allerdings auf Granit stösst. Schwitzen bei den Bäckern mit, die am offenen Holzofen die Fladenbrote an die Innenwand kleben und nach wenigen Augenblicken wieder herausfischen – das Brot erhält hier uneingeschränkt das Prädikat „ofenfrisch“.
Dann gilt es ernst, das kurze Zeitfenster der turkmenischen Botschaft am Sonntagvormittag gilt es zu nutzen. Mit der Metro fahren wir ans Nordende der Stadt. Den Fussmarsch danach unterschätzen wir, weshalb bei unserer Ankunft bereits eine grosse Menschentraube vor dem Schalter steht. Verpasst haben wir noch nichts, wie wir von anderen Fahrradreisenden erfahren: Wer will es denn hier schon so genau nehmen mit Öffnungszeiten! Irgendwann geht das kleine Holzfensterchen auf und alle stürzen sich darauf. Uns kommt das noch unorganisierter als beim Usbeken in Istanbul vor, mir schwant Böses. Und tatsächlich: Nachdem wir die zahlreichen Formulare bereits auf dem Konsulat in Istanbul zum zweiten Mal ausgefüllt hatten (wir erinnern uns: dem dortigen Konsul passten die im Internet heruntergeladenen Vorlagen der Botschaft in Ankara nicht und wir mussten nochmals alles auf seine selbstgeschusterten Formulare kritzeln), werden wir jetzt erneut angewiesen, den ganzen Krempel auf ein iranisches Formular zu schreiben, inklusive Passfotos. Was?? Genau die haben wir natürlich im Hotel gelassen. Na toll! Wir sehen uns schon am nächsten Tag nochmals antraben, da hilft uns glücklicherweise eine ebenfalls wartende Frau. Sie spricht Russisch und übersetzt mein Flehen, dass wir doch bereits registriert seien und sogar eine Einladungsnummer hätten. Das wirkt. Nach drei Stunden Herumsitzen und Warten kommt die glückliche Wende. Je 55 Dollar abgezählt in neuen, unzerknitterten Scheinen durch die Luke aushändigen, eine Quittung unterschreiben und tataaaa: Da sind unsere Pässe mit dem hübschen turkmenischen Kleberchen drin. Juhuuu! Unser Dank geht an Herr Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow und seine hervorragend ausgebildeten Angehörigen der verschiedenen konsularischen Niederlassungen in aller Welt – dank deren weitsichtigen und unermüdlichen Bemühungen dürfen wir nun volle fünf Tage durch die gnadenlos heisse Karakum-Wüste holpern.
Der Weg nach Zentralasien ist nun frei und wir machen uns auf, unsere beiden Gäste aus der Schweiz im Süden einzuholen. Die Velos lassen wir in Teheran zurück – für 10 Tage reisen wir nun ganz ungewohnt mit kleinem Gepäck per Bus durchs Land. Erster Zwischenhalt in Kashan, die Wüstenhitze wirft uns fast wieder in den Bus zurück. Es ist 45 Grad am Schatten und fühlt sich an, als bliese ein überlebensgrosser Fön mit voller Leistung auf uns ein. Wir bereuen es keine Sekunde, die Räder nicht dabeizuhaben.

Beeindruckend sind hier die traditionellen Lehmhäuser. Auf verschiedensten Ebenen sind mehrere lauschige Innenhöfen und unzählige Zimmer mit bunten farbigen Fenstern untergebracht. Riesige Windtürme sorgen auf ausgeklügelte Weise für ein kühlendes Klima. Ebenso imposant sind die Systeme zur Wasserzufuhr. Wie exotisch, farbig und betriebsam muss so ein Anwesen in voller Pracht und mit all den Bewohnern und Gästen gewesen sein! Wir beziehen unser Nachtlager in einer traditionellen Unterkunft und geniessen die entspannende Atmosphäre im einladenden Innenhof. Im Fischteich plätschert ein kleiner Springbrunnen, die persischen Divane sind von Reben umrankt. Verschiedenste Bäume und Sträucher versprechen etwas Kühlung und verströmen einen angenehmen Duft. Und dann passiert etwas, das wir von diversen Wüstenregionen dieser Welt schon bestens kennen. Zwei Kinder klopfen an unsere Zimmertür und rufen: Money, money!
---| 13. August 2013 | Yvonne Vielleicht sollte man den Iran ausschliesslich mit dem Velo bereisen: Zufall oder nicht, jetzt wo wir für zwei Wochen als „fahrradlose“ Touristen unterwegs sind, scheint es, als wären wir viel eher Ziel von seltsamem Verhalten oder gar Abzockerei. Im kleinen Wüstenort Kashan zum Beispiel werden wir auf der Suche nach einem Hotel mitten auf der Strasse von einem Einheimischen aufgelesen, der uns dazu überreden will, in einem Haus zu übernachten. Es stellt sich als überteuertes, unlizenziertes Loch ohne Bett und WC heraus. Als wir dankend ablehnen, ist es mit der Freundlichkeit vorbei und wir sollen für die kurze Autofahrt auch noch bezahlen. Auf dem Busbahnhof in Yazd werden wir rundheraus angelogen, nur um uns ein teureres Busticket verkaufen zu können, in Esfahan werde ich auf dem Bazar angegrapscht, und ein komischer Typ verlangt ein Foto mit mir (mit unserer Kamera!) und legt dabei verbotenerweise den Arm um meine Schultern. Geits no? Da sagen wir nur:

Doch dem gegenüber stehen zum Glück auch viele schöne Begegnungen: Bei der Ankunft in Esfahan steigen wir in einen öffentlichen Bus und als wir das Portemonnaie zücken wollen, winkt der Fahrer ab. Viel lieber will er wissen, woher wir kommen und wie uns sein Land gefällt. Als wir am Abend in der Dunkelheit über den riesigen Naqsh-e Jahan Imam Platz schlendern, wo auf jedem freien Stück Rasen iranische Familien auf ihren ausgerollten Perserteppichen picknicken, werden wir von Ari und seinen zwei Schwestern angesprochen. Sie laden uns auf eine kühle Limonade ein und wollen uns unbedingt wieder treffen. Da am nächsten Tag Andrea und Andrew nach ihrem Wüstentrip wieder zu uns stossen, pilgern wir am Abend zu viert ins nobelste Hotel der Stadt: In dessen lauschigem Garten treffen wir Ari und seinen netten Schwestern zu Zimt-Tee und Süssigkeiten. Natürlich haben wir beim Bezahlen keine Chance: Wir sind die Gäste und deshalb eingeladen, basta! Gut, ist „Danke“ auf Persisch so einfach zu merken: Merci!

Am kommenden Tag nehmen wir unseren Tichu-Wettkampf wieder auf, schlendern durch den Basar, besichtigen Moscheen und gehen ins Kino. Kino? Aber sicher! „Le passé“ heisst der Streifen des iranischen Oscar-Gewinners Asghar Farhadi und wir grinsen amüsiert, als uns der Mann am Ticketschalter drei Mal eindringlich darauf hinweist, dass der Film im Fall auf Französisch sei. Ja klar, besser als Farsi, oder? Haha. Als wir mitten am Nachmittag als die fast einzigen Gäste im riesigen, gekühlten Kinosaal sitzen, fühlt es sich ein bisschen an wie an der Französisch-Matur: Man ist sich sicher, dass man eigentlich alles verstehen müsste, aber irgendwie sprechen doch alle zu schnell und zu viel. Wer in diesem in Cannes prämierten Film wie was warum getan hat, darüber rätseln wir im Debriefing bei einem 0.0%-Bier noch lange… 🙂

Sieben Stunden Busfahrt durch endlose Wüstenlandschaften später erreichen wir Shiraz. Was für ein klingender Name! Hier wuchsen einst üppige Weinberge und Bilder von anno dazumal erzählen von besseren Zeiten, als die berühmte Syrah-Traube noch mehr hergab als ein alkoholfreies Malzgetränk mit Traubengeschmack… Neben dem Besuch des antiken Persepolis (erhielt leider nicht von allen die Höchstnote) ist eines der Highlights der Besuch des Mausoleums des „King of the light“. Ohne grosse Erwartungen betreten wir das Areal, das rein theoretisch von Nichtmuslimen gar nicht besucht werden dürfte. Andrea und ich steuern auf den Fraueneingang zu. Unter Gekicher sowohl von uns als auch der Aufpasserinnen hüllen wir uns in den Ganzkörper-Leih-Tschador. Umwickelt mit noch einer Stoffschicht mehr, realisieren wir, wie unglaublich heiss es besonders für die konservativen iranischen Frauen im Sommer sein muss: Unter dem zusätzlichen Leintuch bildet sich ein Mikroklima wie in einer Biosauna, und der Schweiss fliesst in Strömen.

Wein, (unverschleiertes) Weib und Gesang: Früher ging es im Iran offenbar fröhlich zu und her!
Trotzdem sind wir beeindruckt: Das Innere des Mausoleums ist mit Zillionen von winzigen Spiegeln ausgekleidet, und es funkelt und schimmert wie im Märchenpalast. Als Andrea und ich uns als Nichtgläubige in sicherer Distanz am Heiligtum vorbeischleichen wollen, winkt uns eine freundliche Aufpasserin aufmunternd zu: „Nur zu, Mädels!“, scheint sie zu sagen und lacht übers ganze Gesicht. Die Frauen hinter uns drängeln und schubsen, denn jede will möglichst nahe ran. Mit tiefandächtigem Blick wird der Schrein unzählige Male berührt, gestreichelt und geküsst, und alle paar Minuten fuchtelt eine Aufpasserin mit einem Staubwedel dazwischen – man legt ja Wert auf Sauberkeit! Vermutlich setzt sie dabei auf den bei uns völlig unbekannten Effekt, dass die Bakterien vor Lachen sterben… doch unsere Überlegungen zu Hygiene & Co. werden jäh unterbrochen. Laut schluchzend steht eine Gläubige vor dem Schrein und lässt ihren Emotionen freien Lauf. So grosse Trauer um eine Figur, die vor geschätzten 1500 Jahren gestorben ist? Für uns schon speziell, irgendwie.
Doch keine Zeit zum Sinnieren, weiter zum Gebet! Auf der linken Seite der Moschee sitzen die Männer, auf der rechten wir Frauen. Jede hat ein Gebets-Schämeli mit einem Koran vor sich und liest laut oder leise mit. Wir setzen uns frech dazu, lassen die Atmosphäre auf uns wirken und beäugen das pompöse Dekor. Plötzlich tritt eine Aufpasserin heran. Ui, kommt jetzt der Rausschmiss? Im Gegenteil! Die Dame schlägt mit freundlichem Lächeln die passende Seite im vor uns liegenden Koran auf und deutet mit aufmunterndem Nicken auf die richtige Stelle. Wir können uns das Schmunzeln nicht verkneifen: Lieb gemeint, danke, aber leider verstehen wir immer noch Bahnhof.
Ein ähnlich lustiges Bild müssen wir einen Tag später abgegeben haben, als wir uns im Mausoleum des berühmten iranischen Dichters Hāfez zu viert ganz ungeniert auf einen Outdoor-Gebetsteppich setzen und den kunstvoll gemalten Koran bestaunen. Flugs kommen Helferlein angerannt, bringen Sandwiches und eine persisch-englische Ausgabe des heiligen Buches. Der Priester unterbricht gar seinen Sermon und wir werden via Mikrofon auf Englisch herzlich begrüsst. Die vier Nichtgläubigen auf dem Gebetsteppich beim Studium der heiligen Schrift: Ein nicht zu verpassendes Fotosujet! In den nächsten Minuten sind wir die Attraktion Nummer eins im Gelände und landen auf unzähligen Kameras und Handys – und wer weiss, vielleicht auch in der nächsten Propagandakampagne der iranischen Regierung…

Wieder acht Stunden Busfahrt später kommen wir in die Wüstenstadt Yazd. Die Temperatur steht bei rekordverdächtigen 45 Grad und die Architektur passt sich dem an: Gebaut wird wegen der Hitze fast ausschliesslich aus Lehm. Es macht Spass, einmal ganz ohne Ziel durch die verwinkelten Lehm-Gässlein zu streifen und sich treiben zu lassen. Kein Wunder, dreht sich in einem Wüstenstaat alles um Kühlung und Wasser: Im Water Museum erhalten wir einen Eindruck davon, wie in früheren Zeiten (und in kleineren Ortschaften noch heute) aufwändig unterirdische Wasserkanäle gegraben wurden, welche ganze Dörfergemeinschaften versorgten. Im Keller der Häuser gabs dadurch gleich auch noch einen gekühlten Raum: Vermutlich besser als jede heutige Klimaanlage!

Die Fahrt zurück nach Teheran ist kein Highlight: Wir sitzen in der vordersten Reihe und müssen zuschauen, wie unsere beiden Fahrer abwechselnd wie Kamine schloten oder essen, während sie mit der noch verbleibenden Hand ein SMS nach dem anderen tippen. Zwischendurch werden die Kippen, Plastikflaschen und der ganze übrige Müll bequem durch das Fahrerfenster entsorgt. Fragt uns nicht, welche Hand noch blieb, um das Steuerrad zu halten… Mitten in der Nacht werden wir im teheranischen Nirgendwo aus dem Bus geschmissen („You, out!“). Die Taxifahrt zurück zu unserem Hotel, wo brav die beiden Räder warten, bleibt allerdings unvergessen: Wir teilen uns das Fahrzeug mit zwei anderen Gästen und der Fahrer hält an jeder zweiten Ecke und fragt, wo er als nächstes abbiegen muss. Vermutlich wären wir dank GPS selber schneller ins Hotel gefahren…
Und dann geht alles ganz schnell: Eine letzte verbotene Umarmung, ein letztes Winken, und unser lieber Besuch ist auf dem Weg zurück in die Heimat. Andrea und Andrew – dass ihr es mit uns drei Wochen bei Hitze, abwechslungsfreiem Essen, komplett alkoholfrei, bei Ramadan und uns in der immer gleichen Kluft (das grüne T-Shirt lässt herzlich grüssen) ausgehalten habt, für das verdient ihr wahrlich eine
goldene Velopalme®
In Turkmenistan trinken wir ein grosses Bier auf euch! 🙂
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