Pamir Highway
Lange war er, unser Aufenthalt in Khorog. Und ein bisschen habe ich mich während dieser Tage eingelebt im Städtchen: Zu Fuss hinunter auf den Basar, wo mich „meine“ Marktfrauen bereits kennen. Danach, mit Einkäufen bepackt, wie die Einheimischen bequem per Sammeltaxi wieder den Berg hoch zur Pamir Lodge. Im lokalen Fussballstadion erleben wir zudem den 22. Nationalfeiertag des noch jungen Staates mit. Wieder einmal ist Synchrontanz angesagt! Jung und Alt, von nah und fern reisen die Pamiris an, um den Tanzvorführungen und der Musik beizuwohnen.
Am neunten Tag ist jedoch genug mit Nichtstun. Entgegen allen ärztlichen Ratschlägen fahren wir los im Wissen, dass der erste Teil der Strecke eher sanft ansteigt – ideal also, um sich langsam an die schwindelerregenden Höhen anzuklimatisieren, über die der Pamir Highway führt. Frühmorgens packen wir unsere Drahtesel, um der Hitze wenigstens in den ersten Stunden zu entkommen. Wir hoffen auf kühlere Temperaturen weiter oben – es soll allerdings noch Tage dauern, bis es vorbei ist mit 30°C und mehr!
Vorbei am lotterigen Lastwagen, der anno 1925 als erstes motorisiertes Fahrzeug über den Pamir ächzte, passieren wir wenig ausserhalb der Stadt den berüchtigten Checkpoint, wo mit allerhand Kreativität ein paar Zusatzdollars verdient werden wollen. Tags zuvor hiess es bei unseren österreichischen Freunden, sie hätten keinen Velohelm auf und müssten deshalb eine Busse zahlen. Das in einem Land, wo es kaum Radfahrer geschweige denn Helme gibt!
Sanft geht es bergan, dem Fluss sowie Dörfern und Weilern entlang. Noch ist die Gegend ziemlich besiedelt. Wir haben viel Gegenverkehr von Fahrzeugen, welche die Dörfler zur Arbeit in die Stadt bringen. Unzählige Schüler sind unterwegs zum Unterricht und grüssen uns beim Vorbeifahren, am liebsten natürlich mit einem „High Five“. Abenteuerliche Brückenkonstruktionen winden sich über den rauschenden Fluss. Frauen in farbigen Gewändern treiben ihre einzige Kuh zur Weide. Auf den Dächern der kleinen Lehmhäuser und -ställe wird das Gras für den Winter aufgetürmt. Nicht immer reicht es, um das Vieh durchzubringen, und so wird teuer Futter dazugekauft – das Geld dafür verdienen die Männer als Wanderarbeiter im fernen Russland. Und obwohl die Bergler nicht viel haben: Der Fremde ist hier immer Gast! Unzählige Male werden wir zum Tee eingeladen. Im bescheidenen Dorfladen nach Brot gefragt, erhalten wir wenig später von der Nachbarin frisch gebackenes Nan – Geld dafür will sie nicht. Herzensgute, einfache Menschen, von denen wir viel lernen können.
Ein geschenktes Brot und ein Erinngerungsfoto gratis dazu – das ist tadschikische Gastfreundschaft!
Immer wieder weisen handgemalte Tafeln darauf hin, dass dieses oder jenes Land hier einen Trinkwasserbrunnen oder eine Wasseraufbereitungsanlage finanziert hat – oft ist es die Schweiz und wir tragen unser Schweizerkreuz auf der Tasche entsprechend mit Stolz! 😉
Schon seit Turkmenistan haben wir uns auf den Pamir Highway gefreut: Endlich kühlere Temperaturen, haben wir frohlockt. Doch es war ein schnöder Traum: Auch im Pamir wird es zur Mittagszeit noch über 34 Grad warm. Wir legen deshalb lange Pausen ein und warten die kühleren Nachmittagsstunden ab. Unter einem Baum dösen wir auf der Zeltplane und geniessen den Ausblick in die immer höher aufragenden Berge. In der Ferne grüssen bereits schneebedeckte Gipfel. Mit jedem Meter, den wir vorankommen, ändert die Szenerie und wird noch atemberaubender. Mal mäandert der Gunt sachte durch die Ebene, zwischendurch öffnet er sich zu einem türkisfarbenen See; mal rauscht er bedrohlich über steile Wasserfälle in die Tiefe, während der Hirte mit seinen Ziegen seelenruhig über die Bambusbrücke zirkelt. So beeindruckend ist die Landschaft, dass wir immer und immer wieder absteigen und das Panorama in uns aufsaugen. Ausserdem können wir hier landschaftlich perfekt umrahmt unseren 7000sten Kilometer feiern!
Gegen Abend finden wir einen hübschen Platz zwischen Strasse und Fluss, um unser Zelt aufzustellen. Noch sind wir unter 3000 Meter und Yvonne fühlt sich auch nach fast 1000 Höhenmetern in den Beinen prima – es kann am nächsten Morgen also weitergehen! Dies soll der letzte Tag vor der mehrtägigen Einsamkeit sein, wir fahren bis zur letzten Siedlung auf rund 3600 Metern Höhe. Ein kleines Fussbad im eiskalten Gletscherwasser lassen wir uns nicht nehmen, ebensowenig lassen wir die kleinen „Магазин“ (Magasin) aus, die hier noch die Strasse säumen. Im winzigen Verkaufsraum, manchmal auch im rostigen, ausgedienten Wohnwagen wird das Allernotwendigste zum Verkauf feilgeboten. Konkret: Nudelsuppe, offene Kekse, eingeschweisste Rouladen und mit Glück ein paar schrumpelige Kartoffeln. Wir strahlen übers ganze Gesicht, wenn anstatt dem scheusslichen russischen Bläterliwasser auch eine Flasche „RC Cola“ im Angebot ist, ergattern unsere neu entdeckte Liebe, die Snickers-Riegel, und decken uns mit Teigwaren und Tomatenpüree ein. À propros Snickers: Diese sind uns ganz schön ans Herz gewachsen. Es muss sicher 15 Jahre her sein, seit ich das letzte Mal ein solches Ding gegessen habe. Doch hier oben schätzen wir das unschlagbare Kalorien-pro-Gewicht-Verhältnis: Ein Snickers einwerfen und der Zuckerschub trägt dich gleich weitere 10 Kilometer den Berg hoch!
Einkaufen im alten Bahnwagen: Die tadschikischen Lädeli sind nicht immer einfach zu finden
Trotz grosser Höhe schwitzen wir zwischenzeitlich immer noch, wobei es am Schatten und bei Wind bereits kühler wird. Der stetige Westwind schiebt uns immer wieder nach oben und lässt die Höhenmeter leichter purzeln als gedacht. In Jelondy, dem letzten Dorf, soll es eine heisse Quelle samt dazugehörigem Sanatorium geben. Leider ist dieses weder ausgeschildert noch liegt es am Weg, weshalb wir lieber weiterfahren zum anderen Dorfende. Dort hat das allerletzte Geschäft für uns noch eine Dose Kichererbsen, einige Eier und Colapulver im Angebot. Wir verstauen alles dankbar in unseren Taschen und fahren noch ein Stück weiter, bis wir einen weiteren schönen Platz für die Nacht finden. Mmmh, auch heute gibts wie immer… Pasta! 🙂
Tags darauf vor 9 Uhr ist es soweit, wir erspähen auf einer Wiese die einen halben Tag früher gestarteten Daniela und Christian, die gerade ihr Zelt abbauen. Somit fahren wir zu viert weiter zum Pass und geniessen das Radeln in Gesellschaft in vollen Zügen. Es ist nun deutlich kühler geworden. Erstmals seit Monaten, genauer gesagt seit unseren ersten Tagen in Kroatien, ziehe ich mir wieder Icebreaker-Pulli, Windstopperjacke und Merino-Buff über. Knapp unterhalb der 4000er-Höhenlinie steht ein letztes Haus vor einer Brücke. Ein idealer Rastplatz im Windschatten! Kaum ist unser Picknick ausgepackt, kommen zwei Frauen auf uns zu und bedeuten uns, ihnen ins Haus zu folgen. Wir geniessen lieber die Sonne an der Hauswand, also wird der Gabentisch nach draussen verlegt: Tee, Guetzli, Schokolade und fritierte Teigbällchen werden uns aufgetischt. Eine willkommene Aufwertung unseres Picknicks! Im Gegenzug zeigen wir den beiden einige Bilder aus der fernen Schweiz, etwas Geld als Dank für die Bewirtung nehmen sie jedoch nur mit grösster Überzeugungsarbeit entgegen. Was für eine Gastfreundschaft inmitten der Steinwüste Tadschikistans!
Gestärkt nehmen wir die Schotterpiste zur Passhöhe in Angriff. Die dünne Luft ist nun deutlich zu spüren, im Zeitlupentempo zirkeln wir im Slalom die Piste hinauf, stets die gröbsten Steinbrocken und sandige Passagen umfahrend. Ein chinesischer Lastwagen hatte weniger Glück – er rutschte seitlich ab und die Fahrer sind gerade daran, die Fracht auszuladen in der Hoffnung, den leeren Laster auf die Strasse zurückziehen zu können. Und dann… stehen wir auf dem Koy-Tezek-Pass auf 4272 m.ü.M.!
Es gibt eigentlich nichts zu sehen und doch ist es unendlich viel, das sich in unsere Erinnerungen einbrennt. Im Hintergrund ragen majestätische Fünf- und Sechstausender in die Höhe, vor uns erstreckt sich kilometerweit die Schotterpiste, über uns ein stahlblauer Himmel – und nur wir vier stehen hier oben und geniessen diesen erhabenen Moment. Haben wir es doch aus eigener Kraft hier hinauf geschafft! Den zweiten Pass sparen wir uns für den nächsten Tag auf und machen Halt in einem schmucken Canyon mit einem Bächlein. Zwar bläst uns der Wind fast weg, aber sind die Zelte erst mal aufgestellt und der Kocher angeworfen, kommt gemütliche Camping-Stimmung auf. Zu viert gibts gleich ein Mehrgangmenu – wir finden ganz unten in einer Tasche noch eine Pilzcrèmesuppe aus Griechenland (!) zur Vorspeise, danach gibt es Currykartoffeln mit angebratenen Rüebli und zum Dessert Guezli – das Zelt, dein Gourmettempel!
In der Nacht gibts erneut Minustemperaturen und am Morgen ist es so kalt, dass wir das Zmorge gleich im Schlafsack verspeisen. Die Wasserflaschen sind Stein und Bein gefroren, die abends aufgeweichten Haferflocken sind wieder zum Eisklumpen mutiert und auch das Höhenkopfweh macht sich bemerkbar. Back on track, geht es auf purem Schotter an den zweiten Pass. Die Strasse wechselt ab von Schotter zu Teer zu Sand zu Wellblechpiste, für jeden ist etwas dabei! Als wir den letzten Pass erreichen, bietet sich ein atemberaubender Ausblick: Unter uns liegt das Pamir-Plateau, darauf wie ein Smaragd der Yashilkul-See. Hier trennen sich unsere Wege leider schon wieder: Daniela und Christian wollen am überirdisch blauen Bulunkul-See einen Ruhetag einlegen, während uns diese zusätzlichen 40 Kilometer Schotterpiste abschrecken. Die Vernunft siegt: Schweren Herzens sagen wir „Servus baba“ und brausen auf bester Strasse hinunter ins Tal, denn unser letztmöglicher Einreisetermin nach China rückt immer näher…
In rasanter Abfahrt erreichen wir Alichur, eine Siedlung an einem Ort, wo es so gut wie nichts gibt. Zwei kleine Mädchen führen uns unter Kichern zum winzigen Lädeli des Dorfs, wo wir die letzten knorrigen Rüebli und Kartoffeln sowie ein paar Süssigkeiten kaufen. Das Wasser wird im Ziehbrunnen von Hand zutage gefördert, der stete, unerbittliche Wind macht den Ort nicht gerade einladender. Brot gibt es in Tadschikistan nirgends im Laden zu kaufen: Hier bäckt jede Familie täglich ihre eigenen Fladen. Um an die wertvollen Backwaren zu kommen, muss man sich also durchfragen. „Nan?“ ruft Yvonne ein paar Frauen fragend zu und zeichnet ein rundes Etwas in die Luft. Die Tadschikinnen grinsen jeweils amüsiert und deuten in die richtige Richtung. Und prompt: Ein paar Häuser weiter wird gerade Brot gebacken, wir erstehen uns drei knusprige Fläden und fahren weiter, auf kerzengerader Strasse mit Rückenwind nach Osten.
Bei einem verlassenen Bauernhaus fernab der Strasse suchen wir ein einigermassen windgeschütztes Plätzchen. Heute bläst ein veritabler Sturm. Das Zelt steht schon fast, da kommt ein Bauer und bedeutet uns, doch in seine warme Jurte ein paar Kilometer weiter zu wechseln. Da die meiste Arbeit schon gemacht ist, verzichten wir. Offenbar sind wir nicht die ersten Velotouristen, denen er begegnet: Mit kundiger Hand hilft der alte Tadschike beim Zeltabspannen und schlägt mit uns die Heringe ein. Ein Bild für die Götter! Die Nacht ist alles andere als angenehm: Der eiskalte Wind bläst uns um die Ohren und wir spüren die Höhe, können kaum richtig schlafen und sind froh, am nächsten Morgen früh weiterzufahren. Entschädigt werden wir mit einem weiteren traumhaften Sonnentag, wenn auch bei kalten 5° bis 10°. Da wir nicht wissen, ob es am nächsten Pass noch Wasser gibt, bitten wir in einer Jurte um eine Flaschenfüllung und fahren weiter. Der Wind lässt uns streckenweise dahinfliegen, wären da nicht die Schlaglöcher, die uns immer wieder zum Bremsen zwingen. Das Braun der Felsen wechselt sich ab mit ocker, gelb, violett, grünlich – surreal und wunderschön! Ein letzter steiler Anstieg, und schon öffnet sich uns eine riesige grüne Ebene. In der Ferne leuchten die weissen Häuser von Murghab, der einzigen grösseren Ortschaft auf dem Pamir-Plateau und unser nächstes Zwischenziel.
„Hafen ohne Meer“ wird der Ort oft genannt, und genauso fühlt er sich an. Inmitten von einem Gewirr aus Strom- und Telefonmasten liegen zahllose Schiffscontainer, die zusammengewürfelt den bunten Basar des Städtchens bilden. Wir quartieren uns im Hotel Pamir ein, wo eine richtige Matratze sowie die erste (lauwarme) Dusche seit vielen Tagen auf uns warten – ebenso wie beunruhigende Neuigkeiten bezüglich unserer geplanten Einreise ins Reich der Mitte…
3 Kommentare
Kurt Wulle
Schön. Und jetzt seid Ihr ja schon richtig in der Mitte des Reiches der Mitte.
Jetzt geht es ja weiter aus Xining (2,2Mio E) Richtung Osttibet und weiter nach Chengdu eine Stadt mit über 10 Millionen Einwohner. Wahnsinn. Städte wie bei uns Winterthur oder St. Gallen habe dort 1, 2 Millionen Einwohner. Solche wie Zürich oder Genf dann gleich über 10 Millionen.
Weiterhin eine unfall- und pannenfreie Fahrt Euch beiden 🙂
Peter Grupp
Salut zäme
Ich war ja schon ewig nicht mehr auf eurem Blog, dabei ist er so megagut gemacht. Grosses Kompliment!!! So habe ich mit euch, v.a. Yvonne mitgelitten und schon fast mitgeschwitzt – obwohl es bei uns nun deutlich kühler geworden ist und wir eben zum ersten Mal den Ofen eingefeuert haben.
Merci vielmals für die spannende Lektüre – schlägt locker jeden TV-Krimi – und weiter alles Gute. LG, Peter
Wulle Daniel
Nan! Diese Story’s! Wir sind froh, dass es Yvonne besser geht. 7’000km – wow! Schön, dass ihr nun in China seid! Geschafft – Yuhee! Ihr mit dem Velo nach China und wir mit Zügeln ins eigene Haus… Wir sind so happy! Nun sind wir in den Ferien. In Kroatien (Norden in Istrien) erholen und entspannen wir uns. Gute Weiterreise!